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Gießener Offensive Berufliche Lehrerbildung (GOBeL)

GOBeL

Mit Hilfe mehrerer Bereichsfelder thematisiert das Projekt GOBeL den Lehrkräftemangel innerhalb der beruflichen Fachrichtungen Metall- und Elektrotechnik. Es wird der Versuch unternommen, Perspektiven zu liefern und mögliche Maßnahmen aufzuzeigen, um im Hinblick auf eine fortlaufende Professionalisierung der Lehrkräfte Lösungsansätze zu skizzieren.

Tatjana Hocker - Arbeitsgruppenleitung

Innerhalb der beruflichen Fachrichtungen Metall- und Elektrotechnik (MET-EL) ist ein Mangel an qualifizierten Lehrkräften offensichtlich und verschärft sich zunehmend weiter an den gewerblich-technisch orientierten Berufsschulen (vgl. Tettenborn 2015). Das hessische Kultusministerium formuliert es folgendermaßen:

„Insgesamt entscheiden sich zu wenige Lehramtsstudierende für das Lehramt an beruflichen Schulen. […] Besonders gute Einstellungschancen bestehen in den Fachrichtungen Elektrotechnik, Metalltechnik […]. Elektrotechnik und Metalltechnik, sind zudem für den Quereinstieg ins Referendariat geöffnet […]“ (HKM 2019).

Diesem Handlungsfeld widmet sich nun das Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) an der Justus- Liebig-Universität (JLU) in Gießen. Das Projekt Gießener Offensive Berufliche Lehrerbildung wurde von der Steuerungsgruppe1 (Dr. Ilka Benner, Prof. Dr. Edith Braun, Prof. Dr. Ingrid Miethe und Prof. Dr. Christian Schmidt) verwirklicht.
Zu den Zielformulierungen des Projektes gehören neben einer stetigen Professionalisierung der Studierenden - insbesondere im fachdidaktischen Bereich - auch eine Steigerung der Quote der Absolventinnen und Absolventen der beruflichen Lehrkräftebildung mit den Schwerpunkten Metall- und Elektrotechnik. Dieses Vorhaben erfolgt quer durch alle Phasen der Lehrkräftebildung in enger Kooperation mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) und dem Europa-Studienseminar für berufliche Schulen Gießen.

Mit Hilfe mehrerer Teilprojekte soll der eingangs dargestellte Mangel an Studierenden und Lehrkräften zunächst näher untersucht werden. Auf dieser Grundlage werden Lösungsmöglichkeiten und -ansätze erarbeitet und implementiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektes fokussieren sich dabei auf die vier Bereiche „Begleitforschung Doppelter Praxistransfer“ „Adaptive Studieneingangsphase“, „Entwicklung Fachdidaktik MET- EL“ sowie „Studiengangsmodell Quereinstieg“. Rahmenkonzept des Projektes stellt der doppelte Praxistransfer (Praxis vor und Praxis während/nach des/dem Studium/s) dar. Im Folgenden werden die vier inhaltlichen Schwerpunkte näher vorgestellt.

Teilprojekt Praxistransfer ins Studium (Theo Döppers)

Trotz ungenügender Datenlage ist davon auszugehen, dass Studierende des beruflichen Lehramts eine hohe Heterogenität aufweisen. Diese Heterogenität wird an den Universitäten zumeist als Problem wahrgenommen, dem beispielsweise durch Beratungsangebote oder einer speziellen Studieneingangsphase begegnet werden soll (Teilprojekt Beratung). Studienvoraussetzung für das berufliche Lehramt sind zumeist vor dem Studium erbrachte Praxisphasen. Nicht selten haben Studierende bereits eine berufliche Ausbildung absolviert, sodass sie z.T. über langjährige Berufserfahrungen verfügen. Aufgrund des höheren Durchschnittsalters besitzen die Studierenden insgesamt mehr Vorerfahrungen, z.B. auch durch ehrenamtliches Engagement. Die wenigen vorliegenden Erkenntnisse deuten darauf hin, dass diese Vorkenntnisse von großer Bedeutung sein können. Es wurde gezeigt, dass berufliche Vorerfahrungen hilfreiche soft-skills und eine Theorie-Praxis-Verzahnung mit sich bringen können (Miethe et al. 2014, S. 148f.) und dass pädagogische Kompetenzen – meistens im Ehrenamt erworben – förderlich für die Eigenmotivation im Studium sind (Rothland 2015, für das berufliche Lehramt: vgl. Micknass et al. 2019).
In einer Umkehr der problemfokussierten Perspektive auf Heterogenität werden die Vorerfahrungen der Studierenden des beruflichen Lehramts als mögliche Stärken untersucht. Dabei wird folgenden Forschungsfragen nachgegangen: 1) Über welche Kompetenzen bzw. welches Wissen verfügen die Studierenden aufgrund ihrer Vorerfahrungen? 2) Werden diese von der Institution Universität wertgeschätzt und wenn ja, in welcher Art und Weise? 3) Inwiefern bringen die Studierenden diese Kompetenzen im Studium ein? Hierbei wird ein qualitativer Ansatz verfolgt, der die zentralen Fragen in Gruppendiskussionen und Einzelinterviews untersucht. Die Beantwortung der Forschungsfragen liefert wichtige Hinweise auf die Wissensbestände, Fähigkeiten und biografische Hintergründe von Studierenden des beruflichen Lehramts. Die Ergebnisse fließen im Rahmen des Projekts zudem in die Weiterentwicklung des Studiengangs.

Teilprojekt Transfer während und nach dem Studium (Dr. Lars Müller)

Dieses Teilprojekt untersucht Möglichkeiten der Professionalisierung, indem es sich dem „Transfer während des Studiums“ widmet. Der Fokus liegt auf Schulung und Testung von allgemeinen, insbesondere kommunikativen Kompetenzen. Wie oben erwähnt ist von hoher Heterogenität der Studierenden auszugehen. Neben den klassischen Ungleichheitsdimensionen sind hier vor allem verschiedene schulische und berufliche Zugänge ins Studium zu berücksichtigen. Zudem weisen berufliche Schulen eine heterogenere Schülerschaft auf als andere Schulformen. Um die Performanz der Studierenden im beruflichen Lehramt zu untersuchen, ist es daher nötig, bestehende Performanztests (Braun et al. 2018) anzupassen, um bei der anschließenden Analyse die Heterogenität der Studierenden besser berücksichtigen zu können.
Dieses Teilprojekt untersucht Möglichkeiten der Professionalisierung, indem es sich dem „Transfer während des Studiums“ widmet. Der Fokus liegt auf Schulung und Testung von allgemeinen, insbesondere kommunikativen Kompetenzen. Wie oben erwähnt ist von hoher Heterogenität der Studierenden auszugehen. Neben den klassischen Ungleichheitsdimensionen sind hier vor allem verschiedene schulische und berufliche Zugänge ins Studium zu berücksichtigen. Bei der Analyse der Performanz der Studierenden kommen daher zusätzlich Fragebögen zum Einsatz, die die Heterogenität der Studierenden erfassen.
Um den „Transfer nach dem Studium“ zu analysieren, werden repräsentative quantitative Daten von Absolvent_innen des beruflichen Lehramts sowie Studienberechtigtenbefragungen herangezogen. Der Schwund scheint im beruflichen Lehramt besonders hoch. Es schließen pro Jahrgang deutlich weniger Personen ab, als dies die Zahl der Studienanfänger_innen vermuten ließe. Zudem scheint der Studiengang relativ wenig bekannt zu sein, sodass viele potenziell Interessierte gar nicht von dieser Möglichkeit erfahren. Um zusätzliche Studieninteressierte rekrutieren zu können, ist es erforderlich, berufliche Interessenprofile von Studierenden im Berufsschullehramt zu erstellen und diese mit den Profilen von Studienberechtigten abzugleichen, die womöglich für das Studium zu gewinnen wären, wenn Sie entsprechende Informationen erhielten. Um die Schwundquote zu minimieren und genügend Absolvent_innen für die Praxis auszubilden, ist es daher notwendig, zu analysieren, an welchen Zeitpunkten und aus welchen Gründen das Studium beendet wird. Geschieht dies während des Bachelorstudiums aufgrund von Leistungsproblemen? Hängen die heterogene Herkunft der Studierenden und der nicht-traditionelle Weg ins Studium mit dem Abbruch zusammen? Des Weiteren kann mit Absolventenstudien analysiert werden, inwiefern ein erfolgreicher Einstieg ins Referendariat gelingt oder ob der Übergang vom Studium in den Beruf Probleme birgt.

Teilprojekt Adaptive Studieneingangsphase (Clemens Hafner)

Der Bachelor-Studiengang „Berufliche und Betriebliche Bildung“ (BBB) an der JLU erweist sich in seinem Studienaufbau als sehr komplex und zeigt eine hohe Abbruchquote in den entsprechenden Fachrichtungen (MET-ET) auf (vgl. JLU Gießen 2018). Die Gründe für den Studienabbruch lassen sich durch ein vielschichtiges Ursachengefüge erklären. Die Studienanfänger_innen weisen Unsicherheiten bezüglich struktureller, organisatorischer sowie inhaltlicher Anforderungen auf. Sie benötigen deshalb und aufgrund der heterogenen Studierendenkonstellation zielgruppenspezifische Beratungs- und Unterstützungs-möglichkeiten. Darauf zielt das Teilprojekt, um mit verschiedenen Maßnahmen (siehe Abbildung 1) den Drop-Out zu reduzieren.

Maßnahmen des Teilprojektes „Adaptive Studieneingangsphase“
Maßnahmen des Teilprojektes „Adaptive Studieneingangsphase“ © eigene Darstellung 2020

Mithilfe eines individuellen Beratungs- und Coachingangebotes werden die unterschiedlichen Bedarfe der Studieninteressierten und Studierenden abgedeckt. Innerhalb eines informativen Sachberatungsangebotes (vgl. Gieseke 2000) erhalten die Studieninteressierten und Studierenden notwendige Informationen rund um den BBB-Studiengang. Anhand eines Beratungs- und Trainingsprogramms können die Studieninteressierten die eigene Passung zum Studium und zum Beruf der Lehrkraft der beruflichen Bildung reflektieren und herstellen. Dieses Angebot zur Selbstreflexion dient der erfolgreichen Studien- und Berufswahl.
Tutorien zur Begleitung des Studieneinstiegs sollen den Studierenden dabei helfen, den Übergang von der Berufstätigkeit zum Studium zu erleichtern. Neben der allgemeinen Studieneinführungswoche, die bereits auf das BBB-Studium vorbereitet, bieten die Tutorien für die BBB-Studienanfänger_innen weiterhin die Möglichkeit, sich nachhaltig zu vernetzen sowie eine Unterstützungsmöglichkeit über die erste Studienzeit hinaus.

Aufgrund der unterschiedlichen Fachkulturen ist es umso wichtiger, die jeweiligen Lern- und Arbeitstechniken zu kennen und anwenden zu können. Deshalb wird ein zielgruppen- spezifisches bildungswissenschaftliches Propädeutikum konzipiert. Es dient als Grundkurs zum wissenschaftlichen Arbeiten, in dem die Studienanfänger_innen wissenschaftliche Arbeitsweisen erproben und wissenschaftliches Schreiben üben.
Als letzte Maßnahme soll ein kompetenzorientiertes Anerkennungsverfahren erarbeitet und evaluiert werden. Mithilfe von Kompetenzfeststellungsverfahren, wie beispielsweise biografischer Interviews oder berufsfeldbezogener Überprüfungen, kann (berufliches) Vorwissen diagnostiziert werden. Ziel ist es, die festgestellten Kompetenzen für Studienanteile anzuerkennen, um somit einen attraktiveren Quereinstieg (siehe Teilprojekt Quereinstieg) zu ermöglichen. Dabei profitiert das Teilprojekt von den Ergebnissen aus dem Teilprojekt Praxistransfer ins Studium.

Teilprojekt Fachdidaktische Konzeption im Bereich e-Learning und Simulationsmethoden (Julia Fecke)

Die Anwendung fachlicher und didaktischer Kompetenzen stellen den beruflichen Alltag von Lehrkräften dar. Aus dem bereits genannten Bedarf an Lehrkräften in beruflichen Schulen erscheinen Lehr-Lern-Konzepte, die Studierende verstärkt auf den beruflichen Alltag vorbereiten, hilfreich. Entsprechend soll die Herausbildung und Verfestigung von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen verstärkt in den Fokus genommen werden, um die berufliche Handlungsfähigkeit der Studierenden zu erhöhen. Hierfür ist geplant, bereits bestehende Performanztests (Braun et al. 2018) für das berufliche Lehramt der Fachrichtungen Metall- und Elektrotechnik nicht nur fachdidaktisch, sondern auch vor dem Hintergrund der Digitalisierung, anzupassen und in das Studium an der JLU zu integrieren.
Bei der Förderung der beruflichen Handlungsfähigkeit der Studierenden liegt der Fokus auf der Steigerung kommunikativer Fähigkeiten sowie dem Handeln im Kontext von Lehr-Lern- Prozessen. Dabei stellen Simulationsmethoden geeignete Instrumente dar, mit denen authentische Nachahmungen komplexer Unterrichtsgeschehnisse abgebildet werden und Lernende sich handlungsorientiert professionsspezifisches Wissen aneignen können (s. auch Projekt „ASCOT“; Beck et al. 2016). Die Erkenntnisse, welche die Lernenden in der Simulation gewinnen, sollen anschließend – und prozesshaft – auf die Realität (hier: Unterrichtsgeschehen) übertragen werden.

Teilprojekt Quereinstieg – Neue Konturen in der beruflichen Lehrkräftebildung (Lea Naujoks)

Wie eingangs erwähnt ist ein stetig voranschreitender Lehrkräftemangel an gewerblich-technischen Schulen, besonders innerhalb der beruflichen Fachrichtungen Metall- und Elektrotechnik, zu verzeichnen (z.B. Tettenborn 2015; Wyrwal & Zinn 2018). Um diesem Mangel entgegenzuwirken und die Attraktivität des Studiengangs für Berufserfahrene zu erhöhen, wird ein Studiengangmodell für Quereinsteiger_innen konzipiert.
Durch den engen Verbund von Justus-Liebig-Universität (JLU) und Europa-Studienseminar, durch inhaltlich-fachliche Verzahnung, Institutionalisierung der bisher personalisierten Zusammenarbeit und durch die gemeinsam getragene Verantwortung soll ein neuer Weg der Lehrkräftebildung an beruflichen Schulen in Hessen eingeschlagen werden. Dieser generiert hohe Synergieeffekte im Studium und ist in Zeiten der Digitalität qualitativ zukunftsweisend für die Professionalisierung von Lehrkräften. Das Gießener Modell des Quereinstiegs setzt damit neue Konturen in der beruflichen Lehrkräftebildung.
Der neu zu gestaltende Masterstudiengang ist als integrativer Quereinstieg für berufserfahrene Ingenieur_innen angelegt Der Fokus hierbei liegt auf einer stärkeren Verzahnung der ersten und zweiten Phase der Lehramtsausbildung, wodurch insgesamt eine Verkürzung der Gesamtausbildungsdauer, ohne Verlust der Ausbildungsqualität, angestrebt wird.
Aktuelle Studieninhalte, moderne methodisch-didaktische Aufbereitung der Lerninhalte im Blended-Learning-Modus und prospektive, onlinebasierte Kommunikations- und Lernwege mit hohem Praxistransfer runden zukunftsorientiert die Spezifika des neuen Quereinstiegs- Studiengangs ab.
Abschließend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Projekt GOBeL mit den vorgestellten Teilprojekten den Versuch unternimmt, durch eine professionelle Aus- und Fortbildung angehender Lehrkräfte der beruflichen Bildung sowie Quereinsteiger_innen der Ingenieurwissenschaften, die eingangs beschriebene Problematik aufzubrechen.

Literaturverzeichnis 

Beck, K., Landenberger, M., & Oser, F. (Eds.). (2016). Technologiebasierte Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung: Ergebnisse aus der BMBF-Förderinitiative ASCOT (Vol. 32). wbv.

Braun, E.; Athanassiou, G.; Pollerhof, K. & Schwabe, U. (2018). Wie lassen sich kommunikative Kompetenzen messen? - Konzeption einer kompetenzorientierten Prüfung kommunikativer Fähigkeiten von Studierenden. Beiträge zur Hochschulforschung. (40) (3), 34–55.

Gieseke, W. (2000). Beratung in der Weiterbildung – Ausdifferenzierung der Beratungs- bedarfe. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung, 46, 10-17.

Hessisches Kultusministerium (HKM) (2019). Übersicht über die allgemeinen Einstellungs- chancen in den hessischen Schuldienst.

Online-Ressource, letzter Zugriff am 08.09.2020: https://kultusministerium.hessen.de/einstellung-schuldienst/uebersicht-einstellungschancen

JLU Gießen (2018). Studierendenbefragung 2018, unveröff.

Micknass, A.; Ohlemann, S.; Pfetsch, J. & Ittel, A. (2019). Berufswahlmotive von Studierenden des beruflichen Lehramts. In F. Gramlinger et al. (Hg.), Bildung = Berufsbildung?! Beiträge zur

6. Berufsbildungsforschungskonferenz (BBFK). Bielefeld: wbv, 185-198.

Miethe, I.; Boysen, W.; Grabowsky, S. & Kludt, R. (2014). First Generation Students an deutschen Hochschulen. Selbstorganisation und Studiensituation am Beispiel der Initiativewww.ArbeiterKind.de. Herausgegeben von der Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf: sigma.

Rothland, M. (2015). Die Bedeutung pädagogischer (Vor-)Erfahrungen von Lehramts- studierenden - ein Mythos? Zeitschrift für Pädagogik 61(2), 270-28.

Tettenborn, S. (2015). Studierendenzahlen in den beruflichen Lehramtsstudiengängen – Prekäre Entwicklungen für die gewerblich-technischen Fachrichtungen. Die berufsbildende Schule, 67(2), 58-64.