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Verändern Praxissemester den Vorbereitungsdienst/das Referendariat?

Die Debatte um die Qualität der Lehrerbildung hat viel bewegt, denn lange haben Lehramtsstudierende Praxiserfahrungen erst im Vorbereitungsdienst sammeln können. Mittlerweile tun sie dies bereits in der ersten Phase der Lehrerbildung – im Gegenzug wurde das Referendariat gekürzt. Ändert das die Ansprüche und die Qualität des Referendariats? Heike Scheika, Sprecherin des Landesverbands Thüringen im BAK-Lehrerbildung, nimmt sich dieser Frage an.

Unterrichtssituation
Einhergehend mit den Reformen in der Lehrerausbildung an den Universitäten und Hochschulen kam es auch zu Veränderungen in der Zweiten Phase. © BMBF/Alexandra Roth

Von Heike Scheika

Mit der Einführung der Praxissemester werden schulpraktische Elemente und die Schulwirklichkeit noch stärker in die universitäre Ausbildung integriert. Zur Sicherung der Qualität dieser Praxisphasen bedarf es einer Kooperation aller beteiligten Institutionen. Dies gilt in gleichem Maße für Praxissemester und Vorbereitungsdienst. Stiller (2017) betont, dass der „intensive Austausch zwischen den Institutionen sowie die hohe Bereitschaft aller Beteiligten, zum Gelingen“ eines Praxissemesters beitragen und damit ein sehr konstruktiver und innovativer Prozess in Gang gesetzt werden konnte. Nach Stiller verfügt das Praxissemester über ein außerordentlich differenziertes Lernpotenzial für die Professionalisierung von Studierenden. Stiller stellt klar, dass das „Praxissemester […] ein völlig neues Format und kein vorgezogener Vorbereitungsdienst“ ist. Diese Klarstellung ist wichtig. Der Vorbereitungsdienst in Deutschland, als die zweite, sich anschließende, eigenständige, schulpraktisch ausgerichtete Ausbildungsphase, hat eine weit über die Aufgaben des Praxissemesters hinausreichende Funktion. Das bringt die Berliner Erklärung des Bundesarbeitskreises der Seminar- und Fachleiter/innen (BAK-Lehrerbildung), als bundesweite Interessenvertretung der Ausbilderinnen und Ausbilder der zweiten Lehrerausbildungsphase deutlich zum Ausdruck.

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Das „Praxissemester […] [ist] ein völlig neues Format und kein vorgezogener Vorbereitungsdienst.

Stiller 2017

Ausgehend von den in der universitären Ausbildungsphase erworbenen „fachwissenschaftlichen fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Kompetenzen“ sollen lt. KMK (PDF, 19kB, Datei ist nicht barrierefrei) (2012) im Vorbereitungsdienst die „Kompetenzen für das Berufsfeld des Lehrers“ weiterentwickelt werden. Die Ausbildung im Vorbereitungsdienst soll die theoretische Anleitung, die unterrichtliche Erprobung sowie eine von der Theorie geleitete Reflexion beinhalten, die in unterschiedlichen Ausbildungsformaten umgesetzt wird. Entsprechend der Anforderungen an die Schulpraktika nach Reinhoffer und Dörr (2008) sind die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter beim Antritt des Vorbereitungsdienstes bezogen auf ihre Berufswahl gefestigt, um dann in der zweiten Lehrerausbildungsphase ihre im Praxissemester angebahnten professionsbezogenen Handlungskompetenzen in den von der KMK benannten elf Handlungsfeldern weiterentwickeln zu können. Der von Reinhoffer und Dörr fokussierte Orientierungscharakter eines Praxissemesters hinsichtlich der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Berufswahlentscheidung ist jedoch nur dann möglich, wenn dieses nicht erst in den letzten Semestern platziert ist. Das Ziel einer Theorie-Praxis-Verschränkung schreiben sich beide Ausbildungsphasen zu. Während in der Ausbildung an der Hochschule ausgehend von der Theorie Bezüge zu schulischen Praxis hergestellt werden, bildet im Vorbereitungsdienst die erlebte Praxis den Ausgangspunkt. Im Sinne einer Theorie geleiteten Reflexion werden Bezüge zu den theoretischen Grundlagen hergestellt. Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern zielt „auf ein Berufsbild ab, das eine souveräne und zugleich nachdenkliche Lehrerpersönlichkeit anstrebt, die selbstverantwortlich und reflektiert agiert, die Theorie und Praxis zu verbinden weiß, die inklusiv denkt und handelt und die sich für einen komplexen und anspruchsvollen Beruf interessiert […] Die kompetenzorientierte Ausbildung […] erhebt den Anspruch, dass die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst berufsbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln und dabei ihre Kompetenzen problembezogen, methodisch und im sozialen Austausch anwenden und zugleich ihre professionelle Haltung reflektieren“ ( LI, Hamburg, 2018, S. 4 (PDF, 3MB, Datei ist nicht barrierefrei)).

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Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern zielt „auf ein Berufsbild ab, das eine souveräne und zugleich nachdenkliche Lehrerpersönlichkeit anstrebt, die selbstverantwortlich und reflektiert agiert, die Theorie und Praxis zu verbinden weiß, die inklusiv denkt und handelt und die sich für einen komplexen und anspruchsvollen Beruf interessiert […]."

LI, Hamburg, 2018, S. 4

In der Wahrnehmung der Ausbilderinnen und Ausbilder der Zweiten Phase ist die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes u. a. eine Auswirkung der Einführung längerer schulpraktischer Phasen in der universitären Lehrerausbildung. Insofern muss man nach den Auswirkungen eines verkürzten Vorbereitungsdienstes auf den Professionalisierungsprozess von angehenden Lehrerinnen und Lehrern fragen. Die personenorientierte Beratung und die individuelle Lernbegleitung im Vorbereitungsdienst hat eine hohe Bedeutung und stellt gleichzeitig eine Besonderheit der Zweiten Phase dar. Die Begleitung durch die Ausbilderinnen und Ausbilder ist in einer Phase, in der die Eigenverantwortung sowie das Belastungsempfinden der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter zunimmt, besonders wichtig. Weder in der ersten noch in der dritten Phase der Lehrerbildung in Deutschland erhalten (angehende) Lehrkräfte eine vergleichbare personenorientierte und individuelle Unterstützung bezogen auf ihren Professionalisierungsprozess. Ausbildungselemente, welche zur Personenorientierung, zur Individualisierung in der Ausbildung, zum Training von Handlungskompetenzen, zum Erfahrungsaustausch, zur Reflexion eigener lernbiografischer Erfahrungen u. v. m., also zur Entwicklung des gesamten beruflichen Commitments sowie nicht zuletzt zur Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen als Lehrperson beitragen, benötigen ausreichende zeitliche Ressourcen. Dies haben u. a. die Evaluationen des Vorbereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen (2013) und Berlin (2012) festgestellt. Auf die Ausbildung von Lehrkompetenz gerichtete Lernsettings verfolgen das Ziel, fachliches und fachdidaktisches Wissen mit praktischen Unterrichtserfahrungen und bereits erlernten Lehrfertigkeiten zu verbinden. Dabei werden Einstellungen und Haltungen vor allem im Hinblick auf die Interaktion mit den Lernenden und die eigene Rolle reflektiert.

Die KMK (PDF, 218kB, Datei ist nicht barrierefrei) (2014) fordert, dass das Verhältnis zwischen universitärer und stärker berufspraktisch ausgerichteter Ausbildung so zu koordinieren sei, dass insgesamt ein systematischer, kumulativer Erfahrungs- und Kompetenzaufbau erreicht wird. Wenn sich alle an Lehrerausbildung Beteiligten über die Anforderungen an den Professionalisierungsprozess von angehenden Lehrkräften verständigen, kann gemeinsam überlegt werden, welche Institution mit dem jeweiligen professionell ausgebildeten Personal, welche curricularen Schwerpunkte zielgerichtet, sach- und fachgerecht, orientiert an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den jeweiligen gesellschaftlichen Anforderungen, angepasst an die Herausforderungen der Digitalisierung und bezogen auf den für den Professionalisierungsprozess geeigneten Zeitpunkt umsetzen kann. Ein eindeutiges Plädoyer für die Kooperation aller drei Lehrerbildungsphasen in Deutschland – für die Qualität von Unterricht und Schule, aber vor allem für die Ermöglichung einer zeitgemäßen Bildung unserer Kinder.


Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Thematik sowie die Literaturangaben finden sich im hier verlinkten pdf-Dokument. (PDF, 431KB, Datei ist nicht barrierefrei)


Heike Scheika ist Sprecherin des Landesverbands Thüringen im Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter/innen e.V. (BAK).