Projektvorstellung: Emotionale Kompetenzen im Lehrberuf – Entwicklung und Evaluation eines Trainings an der Universität Regensburg : Datum:
In der Lehrkräftebildung spielt die Schulung emotionaler Kompetenz kaum eine Rolle. Sie verschwindet zwischen Fortbildungen in Fachwissen und Didaktik. Die Lehrkraft als Person mit eigenen Bedürfnissen gerät aus dem Fokus. Und das, obwohl ein Erleben von unangenehmen Emotionen zu Belastungsreaktionen, aber auch zu gesundheitlichen Einbußen führen kann. Vor diesem Hintergrund entwickelte und evaluierte das Regensburger Projekt KOLEG ein "Training emotionaler Kompetenzen" für Lehramtsstudierende.
Von Iris Schelhorn und Christof Kuhbandner
"In fast allen Klassen, die ich unterrichtet habe, hatte ich Wutanfälle.", berichtet eine Lehrkraft in einem Artikelauszug der Spiegel-Online-Rubrik "Lehrergeständnisse – Wie Schule wirklich ist". Dieses Beispiel bringt es auf den Punkt: Unterrichten bedeutet nicht nur, Wissen zu vermitteln, sondern eine Herausforderung des Lehrkräftedaseins besteht auch darin, einen angemessenen Umgang mit den eigenen Emotionen zu finden. Doch was bedeutet dies, ein "angemessener Umgang" mit Emotionen? Oder anders formuliert:
Was macht eine emotional kompetente Lehrkraft aus?
Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Emotionen, die Fähigkeit zu deren Regulation und die Fähigkeit zu deren Ausdruck – so wie herkömmliche psychologische Modelle der emotionalen Kompetenz es definieren würden? Oder die "Fähigkeit sich unter Kontrolle zu haben" – einer der Vorschläge, wie er manchmal von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Trainings formuliert wird?
Um diese Frage schlussendlich zu beantworten, wurden unter anderem Interviews mit Lehrkräften durchgeführt. In inhaltlicher Überschneidung mit den herkömmlichen Modellen der Psychologie wurde dabei die Fähigkeit zur Regulation von Emotionen am häufigsten als Teilbereich der emotionalen Kompetenz genannt. Interessant war jedoch, dass als zweithäufigste benannte Kompetenz die Beeinflussung anderer formuliert wurde, also die Fähigkeit Emotionen zur Lenkung von Schülerinnen- und Schülerverhalten einsetzen zu können. Oder anders ausgedrückt: die Nutzung von Emotionen, um Motivation zu generieren. Ebenfalls häufig genannt wurden die Regulation von Emotionen bei anderen, die Fähigkeit sich in sein Gegenüber hineinversetzen zu können, der Ausdruck von Emotionen, die Wahrnehmung von Emotionen, die Fähigkeit sich emotional zu involvieren und Wissen über Emotionen.
Für die Arbeitsdefinition von emotionaler Kompetenz, auf der das Training aufgebaut wurde, griff die Arbeitsgruppe auf diese Erkenntnisse und die bereits vorliegenden Ergebnisse der Wissenschaft zurück: Eine emotional kompetente Lehrkraft wird als eine Person gesehen, die in erster Linie über die Fähigkeit verfügt, ihre Emotionen bestmöglich zu regulieren. "Bestmöglich" bedeutet in diesem Fall, möglichst viele erwünschte Emotionen zu generieren und unerwünschten Emotionen entweder vorzubeugen oder sich von diesen zu befreien oder diese gegebenenfalls auszuhalten. Emotionswahrnehmung, Wissen über Emotionen, Emotionsausdruck und ein breit angelegtes Wissen über Strategien werden dabei als Vorläuferfertigkeiten betrachtet. Abgeleitet aus Forschungsergebnissen kam man außerdem zu dem Schluss, dass flexible Emotionsregulation einerseits diese grundlegenden und im Sinne eines "Werkzeugkoffers" trainierbaren Fähigkeiten erfordert, dass aber außerdem eine Auseinandersetzung mit gedanklichen Einstellungen und eigenen Zielen und Idealen die Basis für eine gelungene Emotionsregulation bildet.
Wie kann man emotionale Kompetenz sinnvoll trainieren?
Daraus abgeleitet erschien es sinnvoll, in dem Training zunächst über einzelne Kompetenzen wie beispielsweise "Wahrnehmung von Emotionen" oder "Perspektivübernahme als Emotionsregulationsstrategie“ " zu informieren und diese dann mittels Übungen, wie beispielsweise Rollenspiele, zu trainieren. Gleichzeitig war es wichtig, die Trainingsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu zwei Erkenntnissen zu führen: Erstens läuft Emotionsregulation häufig präventiv ab. Eine Lehrkraft, die eine Unterrichtseinheit in einer leicht ablenkbaren Klasse beschäftigungsreich gestaltet, wird mehr Freude in dieser Unterrichtsstunde erleben, als eine Lehrkraft, die dies nicht tut. Die zweite Erkenntnis besteht in der Wahrnehmung, dass Emotionen häufig durch Gedanken – also Bewertungen oder Einstellungen – verursacht werden. Anknüpfend daran beinhaltete das Training Reflexionsübungen über Gedanken und die damit verbundenen Einstellungen und Ideale. Organisatorisch wurde das Training innerhalb des gängigen Lehrveranstaltungsangebots in Form eines viertägigen Blockseminars angeboten.
Von den Studierenden wurden regelmäßig die Rollenspiele zu den Themen Wahrnehmung von Emotionen und Emotionsausdruck als besonders hilfreich eingestuft. Weitere, als besonders förderlich eingeschätzte Trainingsteile waren die Vermittlung theoretischer Inhalte zum Thema Lehrerbelastung und Emotionen im Lehrerinnen- und Lehrerberuf (Mittelwert > 6 bei einer Ratingskala von 1-7). Innerhalb dieses Bausteins ging es darum, Forschungsergebnisse zum Thema Belastung als Lehrkraft zu diskutieren und darauf hinzuweisen, in welchen Kontexten des Lehralltags Emotionen eine Rolle spielen. Übungen zur Perspektivübernahme, bei denen potentiell Ärger auslösende Situationen gedanklich umgedeutet werden sollten, und eine Übung zu den eigenen Stärken und Ressourcen wurden ebenfalls positiv aufgenommen. Weiterhin wurden Imaginationsübungen zu den eigenen Zielen als hilfreich bewertet.
Aus Sicht der Trainerinnen und Trainer ließ sich außerdem ableiten, dass die Teilnehmenden sichtlich davon profitierten, sich eine ungewöhnliche Perspektive auf das Lehrerinnen- und Lehrerdasein zu erlauben: "Es war interessant, das Lehrerdasein aus diesem anderen Blickwinkel betrachten zu dürfen."
Welches Fazit kann man aus wissenschaftlicher Perspektive aus der Evaluation des Trainings ziehen?
Zusammenfassend: nur teilweise das Erwünschte, aber vielleicht nicht ganz das Unerwartete. Erwünscht wäre sicherlich, dass aufgrund der Klarheit der Theorien, der daraus folgenden Anwendungsfelder und der hieb- und stichfesten Evaluationsmethoden dieses Training fundamental zu einer Verbesserung der emotionalen Kompetenz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beiträgt und als Baustein in das Curriculum von Lehramtsstudierenden integriert werden sollte.
Was die erhobenen Daten in erster Linie jedoch zeigen, sind drei erwähnenswerte Befunde: Die Studierenden schätzen ihre eigene Fähigkeit zur Emotionsregulation nach dem Training als höher als vor dem Training ein. Das Emotionswissen der Teilnehmenden steigt. Und: Die Gefühle von Unsicherheit und Angst, die mit den Rollenspielen verbunden sind, verschwinden im Verlauf des Trainings – und zwar auch deutlicher, als dies bei einer Gruppe der Fall ist, die das Training nicht besucht hat. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Studierenden aus dem Training möglicherweise weniger unsicher in ähnlich schwierige emotionsauslösende Situationen gehen, mit denen sie im Schulalltag konfrontiert werden. Letztgenanntes ist sicherlich ein ermutigender Befund.
Am Rest der Ergebnisse ist eher ablesbar, was aufgrund der noch immer sehr lückenhaften Forschungslage zu erwarten ist: Anhand der Daten qualitativer Natur – also den Daten, in denen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer explizit nach angewandten Strategien zur Emotionsregulation gefragt wurden – werden Wissenslücken der Lehramtsstudierenden deutlich, die sich vermutlich nicht innerhalb eines Trainings schließen lassen. Dies könnte man in erster Linie als einen Befund interpretieren, der auf die Vernachlässigung dieses Bereichs innerhalb der Lehramtsausbildung hindeutet. Nicht verwunderlich ist auch, dass sich innerhalb der kurzen Trainingszeitspanne die gemessenen Fähigkeiten im Umgang mit Emotionen in der Anwendung kaum verändern. Dies soll jedoch nicht entmutigen. Vielmehr spricht es dafür, dass womöglich mehr Zeit investiert werden muss und Trainings emotionaler Kompetenzen für die Zukunft längerfristiger und in begleitender Form angelegt werden sollen.
Prof. Dr. Christof Kuhbandner ist Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie der Universität Regensburg und leitet innerhalb des KOLEG-Projekts die Entwicklung eines Trainings emotionaler Kompetenzen für Lehramtsstudierende.
Dipl.-Psych. Iris Schelhorn ist seit 2013 am Lehrstuhl Psychologie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig und entwickelt seit Oktober 2015 das Regensburger Kompetenztraining.