Projektvorstellung: Das „Teaching Talent Center“ der Universität Erfurt setzt auf Eignungsanalyse und Persönlichkeitsförderung : Datum:
Prof. Dr. Ernst Hany und sein Team des Erfurter „Teaching Talent Center“ unterstützen als Teil des Gesamtprojekts „QUALITEACH. Identität. Immersion. Inklusion“ Lehramtsinteressierte und -studierende dabei, ihre individuellen Voraussetzungen und ihre Eignung für den Lehrberuf zu überprüfen. Studienbegleitende Maßnahmen wie Beratungs-, Trainings- und Coachingangebote fördern dabei die Entwicklung und Professionalisierung der künftigen Lehrenden auch für Forschungs- und Leitungsaufgaben.
Professor Hany, welches sind die Spezifika der Lehrerbildung am Standort Erfurt?
Hany: Erfurt bildet für das Lehramt an Grundschulen, Regelschulen, Förderschulen und berufsbildenden Schulen aus, wobei sich das größte Interesse auf die Grundschule konzentriert. Hier übersteigt die Zahl der Studieninteressierten die Zahl der Studienplätze jedes Jahr um ein Vielfaches. Der Frauenanteil ist dabei extrem hoch und die regionale Nähe der Bewerbungen nicht überraschend. Die notwendige Auswahl der Bewerbungen vor allem über die Abiturnote beschert uns - bei aller Heterogenität der Studierenden - zu einem erheblichen Teil sehr leistungsfähige Frauen, was uns natürlich freut. Wir finden dabei gehäuft eine klar strukturierte Berufs- und Lebensplanung, bei der sich die Studierenden einen leicht zu bewältigenden Beruf und die harmonische Kombination von Beruf und Familie vorstellen. Nun hat der Lehrberuf aber an Komplexität und Belastung erheblich zugenommen - und es stellt sich zunehmend die Frage, ob die Abiturnote für die Bewältigung dieser Anforderungen ausreicht.
Welche Möglichkeiten haben sich durch die "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" ergeben, um diesen Herausforderungen zu begegnen? Was macht den Erfurter Ansatz aus?
Hany: Im Rahmen meiner Professur zur Pädagogisch-psychologischen Diagnostik war ich immer schon an der Erfassung von Lern- und Leistungsvoraussetzungen interessiert. Als ich vor einigen Jahren die Leitung der Erfurt School of Education übernahm, war es mir ein Anliegen, die beruflichen Interessen und belastungsrelevante Persönlichkeitsfaktoren von Lehramtsstudierenden zu erfassen. Diese Arbeiten konnten wir in der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" systematisch fortsetzen. Wir wollen die Studierenden zu einer informierten Entscheidung für den Lehrberuf befähigen, indem wir mit ihnen datengestützt über ihre beruflichen Voraussetzungen sprechen, die Entwicklung ihrer "Persönlichkeitskompetenzen" fördern und ihnen Wege in und aus dem Lehrberuf aufzeigen.
Im Rahmen unserer Assessment-Angebote ermitteln wir deshalb Persönlichkeitsfaktoren, die für die Bewältigung der Anforderungen im Lehramt relevant sind, erheben aber auch Indikatoren für die Eignung zum wissenschaftlichen Arbeiten und zur Übernahme möglicher Führungsverantwortung. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Es fehlt nicht nur der qualifizierte wissenschaftliche Nachwuchs in der Lehrerbildung, speziell den Fachdidaktiken, es fehlt dem Land auch an Lehrpersonen, die Aufgaben in der Schulleitung übernehmen wollen. Das Präsidium unserer Universität hat darauf schon reagiert: Pro Jahr werden mehrere Promotionsstipendien speziell für Lehramtsabsolvierende vergeben. Gut angenommen werden auch Informationsveranstaltungen zu Karrierewegen im Lehramt und in der Bildungsverwaltung. Einen erfreulichen Zuspruch hat auch die erstmalige Organisation eines Boys‘ Day mit Schwerpunkt Lehramt Grundschule gefunden.
Welche konkreten Angebote macht das "Teaching Talent Center" Studierenden, die ihre Studienwahl und die Eignung für den Lehrerberuf überprüfen möchten?
Hany: Grundsätzlich weisen wir Studierende auf Informations- und Selbsterkundungsangebote wie beispielsweise die Webseiten von cct-germany oder SeLF an der LMU München hin. Wir legen aber auch allen Studierenden der lehramtsbezogenen Studiengänge bereits vor Beginn des Studienbetriebs ein Persönlichkeitsverfahren vor, das bewährte Skalen zur Erfassung von lehramtsspezifischen Interessen, der Identität als Lehrperson und belastungsrelevanten Persönlichkeitsmerkmalen enthält. Ergänzend wird der Stand der Berufswahl mit einem differenzierten und erprobten Verfahren erfasst.
Innovativ ist die Entwicklung der sogenannten multiplen Mini-Interviews, eine Erhebungstechnik, die in Kanada zur Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern für das Medizinstudium entwickelt und erprobt wurde. In einer Reihe kurzer Verhaltensaufgaben wird geprüft, ob die Probanden strukturiert präsentieren, verantwortlich argumentieren, sozial kompetent interagieren und auch belastende Situationen meistern können. Wir passen diese Situationen typischen Anforderungen im Lehrberuf an. Weil wir dieses Assessment-Verfahren nicht zur Selektion im Rahmen des Bewerbungsverfahrens, sondern für ein ausführliches Feedback und ein passendes Entwicklungsangebot verwenden wollen, legen wir Wert auf eine differenzierte Auswertung der in den Handlungssituationen gezeigten Verhaltensweisen. Deshalb ist die Entwicklung relativ aufwändig, gerade im Hinblick auf die Sicherung einer zuverlässigen Verhaltensbeurteilung.
Wie werden die Erkenntnisse der Verfahren weiter diskutiert und vertieft?
Hany: Die Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensstilen ist die Basis für eine ausführliche Rückmeldung. Hier bieten wir persönliche Beratungsgespräche, sowohl in Kleingruppen als auch individuell, an, versenden aber auch ein schriftliches Feedback, sofern dies gewünscht wird. Aus diesen Beratungskontakten hat sich eine Reihe von Entwicklungsbedarfen herauskristallisiert, zu denen wir Informations- und Trainingsangebote konzipiert haben, diese aber noch weiter entwickeln und systematisch evaluieren. Dazu zählen Kurztrainings zur Berufswahl, zur Persönlichkeitsentwicklung, zum Zeit- und Energiemanagement, zur Kommunikation und Konfliktbewältigung und zur Achtsamkeit.
Ein besonderes Anliegen ist uns die Nutzung der lehramtsbezogenen Praktika im Bachelorstudium zur Überprüfung der persönlichen Eignung für die Anforderungen im Lehramt. Hier haben wir damit begonnen, Studierende vor Beginn des schulischen Praktikums dazu anzuhalten, ihre persönlichen Stärken und Schwächen mithilfe unseres Fragebogens zu reflektieren und sich anschließend Erfahrungssituationen im Praktikum zu stellen, in denen sie auch mal ihre Komfortzone verlassen. Derzeit arbeiten wir an einem Fortbildungsangebot für die praktikumsbegleitenden Lehrkräfte an den Schulen, damit diese die Studierenden in ihrem Prozess der Selbstprüfung begleiten und unterstützen können.