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Alternative Qualifikationswege für Lehrkräfte in Zeiten des Lehrkräftemangels : Datum:

Die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ hat die Lehrkräftebildung maßgeblich verbessert. Sie hat sich aber nur wenig mit den Personen befasst, die kein grundständiges Lehramtsstudium absolvieren, sondern über – in der Regel nicht-universitäre – Quer- und Seiteneinstiegsprogramme in den Beruf einmünden. Dieser Text plädiert für wissenschaftlich fundierte alternative Qualifikationswege, in denen an Universitäten oder Pädagogischen Hochschulen ein Studium auf Masterniveau absolviert wird.

Porträt von Prof. Dr. Cornelia Gräsel
Prof. Dr. Cornelia Gräsel © Uwe Schinkel

Von Cornelia Gräsel

Ein persönlicher Rückblick auf fast 10 Jahre „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“

Wenn ich auf die Qualitätsoffensive zurückblicke, bin ich von vielen Ergebnissen beeindruckt, die die Lehrkräftebildung auf unterschiedliche Weise verbessert haben. Ich möchte drei Beispiele nennen, wie meine Lehrveranstaltungen von der Qualitätsoffensive profitieren:

(1) Mein Begleitkurs des Praxissemesters in Wuppertal folgt einem neuen Konzept, das Bildungswissenschaften und die Fachdidaktiken besser aufeinander abstimmt.
(2) Ich nutze verschiedene Unterrichtsvideos des Meta-Videoportals, die es mir besonders gut ermöglichen, in meinen Lehrveranstaltungen Wissenschafts- und Praxisorientierung zu verbinden.
(3) Ich nutze die Kurzreviews des Clearinghouse der Technischen Universität München, damit die angehenden Lehrkräfte lernen, aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse in der schulischen Praxis zu verwenden.

Mein Rückblick auf die Qualitätsoffensive fällt in Bezug auf ein anderes Thema allerdings kritisch aus: Im gesamten Vorhaben wurde randständig thematisiert, wie die Lehrkräftebildung dazu beitragen kann, dem Mangel an Lehrpersonen entgegenzuwirken. Ein Grund dafür ist sicher, dass dieser Mangel in der „Gründungsphase“ der Qualitätsoffensive 2014 noch nicht so eklatant war wie heute. Im Moment ist das Fehlen ausgebildeter Lehrkräfte jedenfalls eines der meistdiskutierten Probleme des Bildungswesens. Und auch wenn die Prognosen über den künftigen Lehrkräftebedarf unterschiedlich ausfallen, besteht in einem Punkt weitgehende Einigkeit: Es wird ihn auch in 10 Jahren noch geben.

Alternative Qualifikationswege für Lehrkräfte

Um dem Problem des Lehrermangels zu begegnen, wurden in den Bundesländern „alternative Wege ins Lehramt“ geschaffen, vor allem Programme für Quer- und Seiteneinsteigende, für Personen, die ein nicht-lehramtsbezogenes Studium oder sogar eine Berufsausbildung absolviert haben. Die Programme der Bundesländer sind sehr heterogen und unterscheiden sich deutlich in den erforderlichen Voraussetzungen sowie der Intensität und Qualität der Qualifizierungen. Für viele dieser Angebote lässt sich aber feststellen: Sie haben keine Anbindung an Universitäten oder Pädagogische Hochschulen (im Folgenden vereinfachend: Universitäten) und ihnen fehlt eine explizite wissenschaftliche Orientierung. Zudem liegen nur sehr wenige Befunde dazu vor, was diese Programme bewirken und mit welchen Kompetenzen die Absolventinnen und Absolventen alternativer Qualifikationswege letztlich an Schulen unterrichten.

Es ist erstaunlich, dass sich gegen diese Modelle und das damit verbundene Unterlaufen von bisher gültigen Anforderungen und Standards insgesamt wenig Widerstand regt und es wäre eine interessante Forschungsfrage, warum das so ist. In anderen akademischen Berufen gibt es jedenfalls trotz eines großen Mangels an qualifizierten Personen keine vergleichbaren Programme – beispielsweise im Bereich der Medizin oder des Ingenieurwesens, und alternative Qualifizierungen ohne Beteiligung von Hochschulen träfen hier wahrscheinlich auf geringe gesellschaftliche Akzeptanz.

Was zeichnet „gute Lehrpersonen“ aus?

Wenn man auf den aktuellen Forschungsstand zu Kompetenzen von Lehrkräften blickt, dann ist eine fundierte akademische Qualifikation jedenfalls wichtig für „erfolgreiche Lehrkräfte“. Um Unterricht mit hoher Qualität zu halten, ist neben fundiertem fachwissenschaftlichen Wissen umfangreiches bildungswissenschaftliches Wissen erforderlich, also professionsspezifische Anteile aus Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft. Besonders bedeutsam für die Unterrichtsqualität ist schließlich fachdidaktisches Wissen in den unterrichteten Fächern. Erste empirische Analysen zeigen (grob zusammengefasst), dass Quer- und Seiteneinsteigende nicht in allen Wissensbereichen mit den regulär qualifizierten Lehrkräften vergleichbar sind, sondern – je nach Voraussetzung – Defizite in einzelnen Bereichen des notwendigen professionellen Wissens aufweisen.

Nur eine forschungsorientierte und universitäre Lehrkräfteausbildung garantiert zudem, dass künftige Schülerinnen und Schüler von den Ergebnissen des dynamischen Forschungsfeldes „Unterrichtsforschung“ profitieren. Schließlich stehen künftige Lehrpersonen vor der Anforderung, in ihrem Unterricht die großen Herausforderungen gesellschaftlichen, technischen und medialen Entwicklungen zu berücksichtigen. Daraus resultieren komplexe schulische Handlungssituationen, die nicht alleine mit der Anwendung von Wissen bewältigt werden können. Vielmehr müssen Lehrkräfte in der Lage sein, sich selbstständig neue Kenntnisse anzueignen und auf der Basis einer wissenschaftlichen Ausbildung eigenverantwortliche Entscheidungen in komplexen Situationen treffen – wie dies auch in anderen Professionen erforderlich ist.

Beteiligung von Hochschulen an alternativen Qualifikationswegen

Kurz: Aus der Perspektive der Bildungsforschung besteht kein Zweifel daran, dass Lehrkräfte wissenschaftlich fundiertes Wissen benötigen, das in den Lerngelegenheiten der ersten Phase vermittelt wird, also an Universitäten. Die GEBF hat daher in ihrem Positionspapier gefordert, dass angehende Lehrkräfte auch in Quer- und Seiteneinstiegsmodellen einen Master absolvieren, der je nach individuellen Lernvoraussetzungen Module festlegt, die die zu studierenden fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Inhalte festlegt. Um die Attraktivität dieses Modells zu erhöhen, sollte der Lebensunterhalt der Quermasterstudierenden gesichert werden, zum Beispiel in Form von Stipendien oder über die Arbeit als unterstützende Lehrkraft an Schulen.

Dieses Modell ist auch aus folgendem Grund wünschenswert: Die derzeitigen alternativen Programme sind aufgrund ihrer großen Flexibilität und geringeren Qualifikationsdauer für junge Menschen attraktiv und werden nachgefragt. Eine unerwünschte Rückwirkung dieser Angebote kann oder wird sein, dass die Nachfrage nach lehrkräftebildenden Studiengängen sinkt – und die alternativen Modelle damit sogar dazu beitragen, den Mangel an qualifizierten Lehrkräften zu verstärken.


Prof. Dr. Cornelia Gräsel ist seit 2004 Professorin für Lehr-, Lern- und Unterrichtsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal. Sie war Ko-Vorsitzende des Auswahlgremiums der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“; seit 2001 ist sie Präsidentin der „Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF)“.