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Die Expertise von Lehrkräften im Fokus – der Austausch guter Unterrichtserfahrungen als Gegenstand eines Professionalisierungsformats : Datum:

Fortbildungen sollen berufliche Kompetenzen stärken und die Unterrichtspraxis von Lehrkräften verbessern. Damit besitzen die Fortbildnerinnen und Fortbildner auch die Deutungsmacht über die guten Unterrichtsmethoden. Dabei sind es Lehrkräfte, die täglich den Unterricht planen, durchführen sowie reflektieren und somit als Expertinnen und Experten für das Unterrichten und den Lehrberuf gelten müssen. Daher sollte die Best-Practice von Lehrkräften in Fortbildungen mehr Berücksichtigung finden.

Eine Gruppe erwachsener Menschen steht in einem Raum und diskutiert lebhaft in Zweier- und Dreiergruppen
Kollegialer Austausch unter Expertinnen und Experten trägt zur Professionalisierung bei. © BMBF/Michael Mutzberg

Von Felix Linström

Aktuelle Fortbildungspraxis in Mecklenburg-Vorpommern

Lehrkräftefortbildung erfolgt in Mecklenburg-Vorpommern in der Regel auf zwei Wegen: zum einen nehmen Lehrkräfte als Einzelpersonen an Fortbildungen teil; zum anderen melden sich ganze Kollegien im Rahmen von Schulinternen Fortbildungen (SchiLf) für Fortbildungsangebote an. Gemein ist beiden Wegen, dass das jeweilige Fortbildungsthema dem jeweiligen Bedarf der einzelnen Lehrkraft beziehungsweise den Anforderungen im Rahmen der Schulentwicklung der gesamten Schule entsprechend ausgesucht wird. Praktisch bedeutet das: zunächst nehmen Lehrkräfte bzw. Schulkollegien als Ganzes ein Defizit in ihrer beruflichen Handlungsfähigkeit wahr und wählen daraufhin die entsprechende Fortbildung aus. Im Idealfall wird eben jene (wahrgenommene) Handlungslücke in der Fortbildung geschlossen, sodass das Handlungsdefizit nach der Fortbildung nicht mehr besteht. Hinter diesem Vorgehen steckt die Idee, dass ein externer Impuls ausreichend wäre, um das Handeln von Lehrkräften nachhaltig zu beeinflussen. So sollen durch Fortbildungen zum Beispiel unterrichtliche Verhaltensweisen langfristig angebahnt werden, um am Ende den Unterricht und das Lernen von Schülerinnen und Schülern positiv beeinflussen zu können. Empfehlungen aus der Lehrkräfteforschung besagen jedoch, dass eine kurze Fortbildungsdauer höchstens für umgrenzte Wissensgebiete ausreicht, nicht jedoch, um Einstellungen oder unterrichtliche Verhaltensweisen nachhaltig zu ändern.

Unterrichtserfahrungen von Lehrkräften nutzen, um berufliche Handlungskompetenzen zu erweitern

Trotz gängiger Fortbildungspraxis durch externe Referentinnen und Referenten wird auch die Unterrichtspraxis von anderen Lehrkräften regelmäßig zur eigenen Professionalisierung herangezogen. Deutlich wird dies mit Blick auf die einschlägigen Online-Tauschbörsen, in denen das von Lehrkräften aufbereitete (und bereits praktisch erprobte!) Unterrichtsmaterial für die weitere Nutzung angeboten wird. Hier bedienen sich nicht nur Referendarinnen und Referendare zur Vorbereitung des eigenen Unterrichts. Die von anderen Lehrkräften für gut befundene Unterrichtspraxis wird also genutzt, um die eigene berufliche Handlungskompetenz zu erweitern. Grundsätzlich ist dies aber keine neue Praxis, die erst durch die Erfindung des Internets und mit der zunehmenden Digitalisierung etabliert wurde. So gab es bereits in der ehemaligen DDR einen institutionellen Erfahrungsaustausch, der nahezu das gesamte Bildungssystem durchzog – von Mitarbeitenden in Kindergärten bis in die Schulen. Die Idee dahinter bestand darin, dass innovative Unterrichtsideen durch den Austausch guter Unterrichtserfahrungen für andere Pädagoginnen und Pädagogen zugänglich gemacht werden sollten. Dieses Grundverständnis, dass dem Unterricht weniger ein Defizit, sondern vielmehr ein Potential innewohnt, erscheint somit als eine Möglichkeit, um die Professionalisierung von Lehrkräften voranzubringen.

Lehrkräfte als Fortbildnerinnen und Fortbildner in einem kollegialen Erfahrungsaustausch

Die Vorteile eines Erfahrungsaustausches unter Lehrkräften, die an einer Schule tätig sind, liegen darin, dass der Austausch über die unterrichtliche Praxis mit direktem Bezug zur eigenen Klasse erfolgen kann. Die auszutauschende Unterrichtserfahrung in Form einer Best-Practice (beispielsweise eine spezielle Unterrichtsmethodik zum Aufbau einer adäquaten Lernhaltung in der Unterstufe oder eine bewusst eingesetzte Handlung, um störendes Verhalten abzubauen) bezieht sich dann bereits auf die Unterrichtswirklichkeit der sich austauschenden Lehrkräfte, weil in derselben Schule unterrichtet wird und die Schülerschaft sowie das Leistungsniveau bekannt sind. Externe Fortbildnerinnen und Fortbildner können dies nicht leisten, da sie den jeweiligen Unterrichtskontext der Lehrkräfte nicht kennen.

Fortbildungskonzeption eines kollegialen Erfahrungsaustausches

Im Rahmen von „Lehren in M-V“, einem Projekt der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ (QLB), wurde am Institut für sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation an der Universität Rostock in einem Promotionsvorhaben unter der Betreuung von Prof. Dr. Katja Koch ein zweigeteiltes kollegiales Fortbildungsformat entwickelt und erprobt, das eben jenen Erfahrungsaustausch in den Mittelpunkt einer Lehrkräftefortbildung stellt. Der erste Teil des konzipierten Erfahrungsaustausches beinhaltet den Austausch über Unterrichtserfahrungen von Lehrkräften an einer Schule. In dieser Präsenzveranstaltung erhalten Lehrkräfte einer Schule die Gelegenheit, in Kleingruppen strukturiert über ihre eigenen Unterrichtserfahrungen nachzudenken, diese kritisch zu reflektieren und am Ende der Veranstaltung dem gesamten Kollegium vorzustellen. Für den zweiten Teil des Formats werden einige Best-Practices aus den Präsenzveranstaltungen ausgewählt und in digitaler Form für den schulübergreifenden Austausch aufbereitet. So entstehen kurze Tutorials über bewährte Unterrichtsmethoden, die dann wiederum schulübergreifend von Lehrkräften zur eigenen Unterrichtsvorbereitung genutzt werden können. Darüber hinaus ließe sich das Format auch in der ersten oder zweiten Phase der Lehrkräftebildung implementieren. Im Lehramtsstudium der Sonderpädagogik an der Universität Rostock wird dieses Professionalisierungsformat bereits zur Auswertung von Praxisphasen eingesetzt.

Evaluationsergebnisse der Fortbildung zum kollegialen Erfahrungsaustausch

In einer begleitenden Evaluation (Fragebogenerhebung und Leitfadeninterviews zu drei verschiedenen Zeitpunkten) wurde der erste Teil des Fortbildungsformats auf seine Wirksamkeit hin überprüft. In der Auswertung hat sich gezeigt, dass die strukturelle Konzeption und methodische Umsetzung überwiegend auf positive Reaktionen und Zustimmung der Teilnehmenden stießen. Es zeigte sich zudem, dass das Wissen der Teilnehmenden über die Unterrichtstätigkeit der Kolleginnen und Kollegen durch die Fortbildung signifikant gestiegen ist. Darüber hinaus bewerteten die Teilnehmenden die ausgetauschten Unterrichtsmethoden auch für die eigene Praxis als geeignet. Dies ist ein Indiz dafür, dass dieses Fortbildungsformat den alltäglichen informellen Austausch unter den Lehrkräften systematisch ergänzen konnte und die Inhalte auf die eigene Praxis der Teilnehmenden übertragen werden kann.

Fazit

Ein Erfahrungsaustausch bietet sich für Lehrkräfte als niedrigschwelliges Instrument an, um bereits vorhandene gute Praxis zu stärken. Das hier beschriebene Format wurde nicht dafür entwickelt, um auf grundlegende gesamtgesellschaftliche Herausforderungen zu reagieren und umfassende pädagogische Konzepte neu in der schulischen Praxis zu etablieren. Das Potential des hier beschriebenen Formates entfaltet sich dann, wenn Lehrkräfte eigene didaktische Lösungsansätze entwickeln und diese zum Nachahmen präsentieren. Dies kann beispielsweise in Form von angeleiteten Fortbildungstagen erfolgen oder aber auch als schulinternes Instrument etabliert werden, das den reflektierten Erfahrungsaustausch unter Lehrkräften in selbstorganisierten, regelmäßig stattfindenden Austauschgruppen sicherstellt. Aber auch bei Lehrkräftekonferenzen wäre ein routinierter Themenpunkt möglich, bei dem Lehrkräfte die Möglichkeit erhalten, die eigene Unterrichtspraxis vorzustellen und kollegial zu reflektieren. Voraussetzung ist hier aber – wie auch bei jeder anderen Fortbildungsmaßnahme – die zeitliche Ressource, die den Lehrkräften dafür zur Verfügung stehen muss.
Die Vorteile dieses Professionalisierungsformats liegen dann darin, dass die Unterrichtserfahrungen systematisch und strukturiert ausgetauscht werden und somit sichergestellt wird, dass die subjektiv für gut befundenen Best-Practices der Lehrkräfte einer kritischen Reflexion unterzogen werde – eine Notwendigkeit, um die Expertise von aktiven Lehrerinnen und Lehrern zu fördern.


Felix Linström war von Oktober 2019 bis Juni 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“. Seitdem ist er am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation an der Universität Rostock tätig.