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Wichtige Impulse, überzogene Erwartungen, Perspektiven – drei Anmerkungen zur „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ : Datum:

Die Ziele der Qualitätsoffensive waren anspruchsvoll: Optimierung von Strukturen der Lehrkräftebildung, stärkerer Praxisbezug, Verbesserung der Beratung und Begleitung der Studierenden, Vergleichbarkeit und Anerkennung von Studienleistungen und -abschlüssen sowie Verzahnung der drei Ausbildungsphasen (Studium, Vorbereitungsdienst, Lehrkräftefortbildung) sind wichtige Stichwörter. Zum Erreichten, zu Problemzonen und zu Perspektiven drei Bemerkungen aus Perspektive der zweiten und dritten Phase.

Porträt von Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke
Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke © Fotofabrik

Von Thomas Riecke-Baulecke

1. Wichtige Ergebnisse der Qualitätsoffensive sind, dass die Lehrkräftebildung an den Hochschulen einen Bedeutungszuwachs erfahren hat und vielfältige Vorhaben zur Professionalisierung befördert worden sind.

Die Lehrkräftebildung war viele Jahrzehnte nicht das Aushängeschild von Hochschulen. Die Randständigkeit der Lehrkräftebildung wird nicht zuletzt durch die seit 2005 laufenden Exzellenzinitiativen des Bundes veranschaulicht, bei denen die Lehrkräftebildung bislang nicht berücksichtigt worden ist. Vor diesem Hintergrund sollten die zahlreichen Maßnahmen, Strukturveränderungen und Diskurse im Kontext der Qualitätsoffensive als besonders wertvoll eingeschätzt werden. Ein Beispiel ist die präsidiale Verankerung der Lehrkräftebildung durch Verantwortlichkeiten für die Lehrkräftebildung in zentralen Führungsgremien an einer Reihe von Hochschulen. Institutionelle Ansätze zur hochschulinternen Bündelung und Koordination der Lehrkräftebildung durch Schools of Education oder Zentren für Lehrkräftebildung wurden befördert oder initiiert. Der wissenschaftliche Nachwuchs wurde durch Promotionsstellen, durch interne und übergreifende Vernetzungen gestärkt.

Von besonderem Interesse sind die Früchte im Bereich der Professionalisierung: Mit Hilfe diagnostischer Verfahren konnten einerseits Hilfestellungen für die Berufswahl und andererseits Fakten gegen den Mythos, es studierten vor allem Ungeeignete für das Lehramt, bereitgestellt werden. Die Frage nach den Studienabbrechern wurde zudem einer Analyse unterzogen, die zu differenzierten Ergebnissen und Konsequenzen führte. Demnach handelt es sich bei den Abbruchsquoten eher weniger um ein für alle Fächer zutreffendes Phänomen als vielmehr um eine fachspezifische Problematik, die insbesondere für Mathematik und Physik mit verschiedenen hochschulinternen Maßnahmen wie Aufbaukursen verknüpft wurde. Die studienbegleitende Berufsberatung und die Professionalisierung schulpraktischer Phasen auf Basis systematischer Evaluationen wurde in den letzten zehn Jahren deutlich vorangetrieben. Schließlich sei auf eine Reihe konkreter Maßnahmen wie die Nutzung von Unterrichtsvideos und digitaler Medien insgesamt verwiesen, die wertvolle Beiträge zur Qualitätsentwicklung geleistet haben.

2. Der Titel „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ und damit verbundene Zielbestimmungen haben überzogene Erwartungen befördert: Eine systematische Kooperation der drei Phasen der Lehrkräftebildung hat, wenn überhaupt, nur in Ansätzen stattgefunden.

Die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ war primär ein Konzept der Wissenschaftsseite von Bund und Ländern. Das war und ist selbstverständlich legitim. Als problematisch hat sich jedoch erwiesen, dass die Schulseite der Länder, die für die zweite und dritte Phase der Lehrkräftebildung zuständig ist, nicht systematisch einbezogen wurde. Gleichwohl sind in einigen Bundesländern Ansätze phasenübergreifender Curricula oder gemeinsame Projekte der Lehrkräftebildung entstanden. Praxissemester an einer Reihe von Hochschulen werden in arbeitsteiliger Zusammenarbeit von Hochschulen und Landesinstituten beziehungsweise Seminaren durchgeführt.

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Einer besseren Verzahnung der drei Phasen der Lehrkräftebildung hätte es jedoch gutgetan, diese in der Anlage und Organisation der Qualitätsoffensive selbst zu verankern.

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke

Bei einigen Akteuren scheint jedoch der Titel „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ Erwartungen geweckt zu haben, die Allzuständigkeit der Hochschulen für die Lehrkräftebildung insgesamt zu postulieren. Eine Diskussion, die seit Ende der 1990-er Jahre mit dem Bolognaprozess und der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge Fahrt aufnahm, die in einigen Bundesländern zur Verkürzung des Vorbereitungsdienstes auf ein Jahr und der Delegation von Fortbildungsaufgaben an Hochschulen führte, dann aber wieder abebbte, erhielt mit der unzureichenden Einbindung der Schulseite in die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ neuen Nährstoff. Demnach sei die Lehrkräftebildung der dritten Phase doch Aufgabe der Hochschulen und der Vorbereitungsdienst angesichts der ausgedehnten Praxisphasen in der Hochschulausbildung verzichtbar, so eine Argumentationslinie, die auch auf der Abschlusskonferenz in Berlin zu hören war. Nun war eine solche Zielsetzung nicht die Intention der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“. Einer besseren Verzahnung der drei Phasen der Lehrkräftebildung hätte es jedoch gutgetan, diese in der Anlage und Organisation der Qualitätsoffensive selbst zu verankern.

3. Die Lehrkräftebildung in Deutschland ist besser als ihr Ruf. Notwendig ist trotzdem eine Stärkung von forschungsbasierter Lehre insbesondere in den Fachdidaktiken, mehr lerneffektbezogene Evaluation und eine systematische Kooperation im Sinne professioneller Arbeitsteilung.

Nach den jüngsten PISA-Ergebnissen (Thiel et al., 2024) wird unter anderen die Frage der Qualität der Lehrkräftebildung im internationalen Vergleich aufgeworfen. Die Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) hat wichtige Analysen und Handlungsempfehlungen vorgelegt, die an dieser Stelle nur zu unterstreichen und zu akzentuieren sind. Grundlage für Verbesserungsvorschläge sollte die Vergewisserung über die Stärken eines Systems sein, damit diese ausgebaut und nicht relativiert werden. Dass es weiterhin erheblichen Verbesserungsbedarf gibt, wird kaum jemand bezweifeln. Worauf kommt es besonders an?

Erstens: Stärkung forschungsbasierter Lehre statt einfach mehr Praxisbezug. Vor einem Ruf nach noch mehr Praxisnähe sollte der Blick auf das wissenschaftliche Fundament der Lehrkräfteausbildung geschärft werden. Die Akademisierung der Lehrkräfteausbildung gehört zu den Stärken des deutschen Systems mit einer in der Regel fünfjährigen wissenschaftlichen und einer ein- bis zweijährigen praxisbezogen Phase. Mit Akkreditierungsprozessen, zweiten Staatsexamina und Standards der Lehrkräftebildung gibt es Mechanismen und Orientierungen der Qualitätssicherung. Studien wie COACTIV (Kunter et al., 2011) verweisen nachdrücklich darauf, dass erfolgreiches Lernen der Schülerinnen und Schüler sowohl von pädagogisch-psychologischen Kompetenzen der Lehrkräfte, wenn es um Klassenführung und konstruktive Unterstützung geht, als auch um fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kompetenzen, wenn es um kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung geht, ankommt. Mehr Praxisnähe sollte auf keinen Fall als Relativierung von Wissenschaftlichkeit missverstanden werden. Die eigentliche Frage ist, ob der Anspruch von Wissenschaftlichkeit der Ausbildung in ausreichender und vergleichbarer Weise in allen Fächern und Lehrämtern eingelöst wird. Wissenschaftlichkeit der Lehrkräfteausbildung verlangt stets Praxisnähe, was insbesondere bedeutet, in der Fachausbildung didaktische Fragen deutlich aufzuwerten und Lehre vor dem Hintergrund profunder Lehr-Lern-Forschung zu gestalten. Es gilt die Ansätze fachdidaktischer Forschung zu stärken, die die Wirksamkeit von Vermittlungsansätzen in den Blick nehmen. Das Programm BISS-Transfer veranschaulicht das Potential forschungsbasierter Ansätze für die Aus- und Fortbildung sowie die Nutzung an Schulen. Hier gibt es viel Luft nach oben in nahezu allen Fächern.

Zweitens: Befunde aus COACTIV-R (Voss et al., 2011) deuten darauf hin, dass es anscheinend stark vom Lehramt und der Hochschule abhängt, inwieweit die oben genannten Kompetenzen vermittelt werden. Was mit PISA, IGLU und IQB-Bildungstrends für Schulen zur Selbstverständlichkeit geworden ist, sollte für die drei Phasen der Lehrkräftebildung ebenso gelten, nämlich die Vergewisserung über Lernergebnisse. Lehrveranstaltungsevaluationen sind inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, es gilt vorhandene Ansätze wie COACTIV-R, TEDS-M oder PaLea über Lerneffekte zu ergänzen und Studien im Bereich fachdidaktischer und pädagogisch-psychologischer Kompetenzentwicklung auszubauen. Ziel sollte die Generierung von Steuerungswissen sein, um für die jeweiligen Lehrämter eine solide und vergleichbare wissenschaftliche Grundqualifikation in den Fächern, den Fachdidaktiken und in den Bildungswissenschaften sicherzustellen.

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Grundlage für solche Kooperationen sollte die Erkenntnis sein, dass die Institutionen spezifische Aufträge und Expertisen einbringen, die es für gemeinsame Vorhaben zu nutzen gilt.

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke

Drittens: Arbeitsteilige Kooperation statt Allzuständigkeits- und Übernahmephantasien. Die mit der Qualitätsoffensive beförderten Kooperationen zwischen Hochschulen, Landesinstituten und Seminaren erhalten mit dem Forschungs-, Innovations- und Transferprojekt „Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung“ weitere Schubkraft. Grundlage für solche Kooperationen sollte die Erkenntnis sein, dass die Institutionen spezifische Aufträge und Expertisen einbringen, die es für gemeinsame Vorhaben zu nutzen gilt. Eine Banalität ist der Hinweis, dass Allzuständigkeits- oder Übernahmephantasien kontraproduktiv sind. Mit dem Gutachten der so genannten Baumert-Kommission zur Lehrkräftebildung wurde vor über 15 Jahren dazu Wesentliches gesagt: „Vergegenwärtigt man sich dabei die Konfigurationen von Strukturmerkmalen und Spezifitäten universitärer Arbeitsweisen einerseits und die der Zweiten Ausbildungsphase andererseits, wird unmittelbar einsichtig, dass Ausbildungselemente der Ersten und Zweiten Phase kaum wechselseitig substituiert werden können. Denn deren wechselseitige Verschiebung bedeutet zuallererst eine Einbuße bei den jeweils besonderen strukturellen Stärken. Der Erwerb konzeptionell-analytischer Kompetenz in der universitären Ausbildung ist ebenso wenig austauschbar wie der Erwerb von reflexiv gesteuerter Handlungskompetenz in der Zweiten Phase.“ (MfIWFT, 2007, S. 32).

Weder der Vorwurf, die erste Phase sei abgehoben und schulfremd, noch die aktuellen Darstellungen in einigen Medien über die zweite Phase („Hölle Referendariat“, so der Spiegel), sind jenseits von Einzelfällen haltbar. Gut beraten sind alle Akteure der Lehrkräftebildung nach Evidenzen zu suchen. Die empirischen Befunde beispielsweise über den Vorbereitungsdienst zeichnen jedenfalls ein ganz anderes Bild (so beispielsweise die umfangreiche Benchmarking-Studie in sechs Bundesländern, Christensen et al., 2007; COACTIV-R, Voss et al. 2011, 2023; Riecke-Baulecke, 2023).


Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke ist Präsident des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg (ZSL). Davor leitete er 15 Jahre lang das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein. Seit 2022 bringt er seine Expertise als Mitglied des Begleitgremiums des BMBF-Projekts „Kompetenzzentrum für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung“ und den daraus hervor gegangenen Kompetenzverbund lernen:digital ein.