Die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ – eine Bilanz aus der Sicht der Wissenschaft : Datum:
Die seit 2013 vorbereitete und 2015 gestartete „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ (QLB) ist Ende 2023 ausgelaufen. Sie war das größte Förder- und Entwicklungsprojekt in der jüngeren Geschichte der Lehrkräftebildung in Deutschland. Der Förderumfang betrug fast 500 Millionen Euro; am Ende waren 91 Projekte an 72 Hochschulstandorten beteiligt. Durch die QLB sind an den Hochschulen zusätzliche 1.470 befristete Stellen geschaffen worden. Was hat die QLB erreicht, was eher nicht, und was sollte nun geschehen?
Von Ewald Terhart
Der Hintergrund der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“
Teilweise schon in den 1990er Jahren und dann verstärkt im Zusammenhang mit dem PISA-Schock von 2001 intensivierten die verantwortlichen Bundesländer, koordiniert durch die Kulturministerkonferenz (KMK), ihre Anstrengungen in Richtung auf eine Verbesserung der Qualität der Lehrkräftebildung. Dies betraf alle ihren Phasen: das Studium, den Vorbereitungsdienst (Referendariat) sowie das kontinuierliche Lernen im Beruf, also die Lehrkräftefortbildung. Von besonderer Bedeutung war die Verabschiedung von Standards und Anforderungen für die verschiedenen Elemente und Phasen der Lehrkräftebildung. Dadurch wurde ein genaueres Bild der durch Lehrkräftebildung anzubahnenden Kompetenzen und Fähigkeiten der zukünftigen Lehrkräfte definiert.
Der Prozess der QLB
Durch Standards für die erste und zweite Phase der Lehrkräftebildung und im Zuge der Umstellung auf das Bachelor/Master-System wurde eine im Prinzip zielgerichtetere und verlässlichere Studienstrukturierung erreicht. Auch Bundesländer, die das alte Staatsexamensmodell beibehielten, führten Neuerungen ein. Nun galt es, einen entsprechenden Prozess der curricularen Neuorganisation zu starten, der alle diese Anforderungen und Neuerungen in die Wirklichkeit der universitären Studiengangsgestaltung, der konkreten Studienangebote und Lehrinhalte brachte. Um diesen grundlegenden Wandlungsprozess zu unterstützen und mit zusätzlichen Ressourcen zu versorgen, wurde zwischen Bund und Ländern die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ (QLB) verabredet. Die Schwerpunkte der Ausschreibung richteten sich auf die Behebung zentraler Schwachpunkte der Lehrkräftebildung. Auf der Basis ihrer je besondere Ausgangslage, Stärken und Schwächen stellten die lehrkräftebildenden Universitäten unterschiedlich ausgerichtete Projektanträge, ein Expertengremium wählte aus, und am Ende nahmen 72 Universitäten mit 91 Projekten teil.
Was hat die QLB bewirkt – wo liegen ihre Grenzen?
Betrachtet man den Wandel der Lehrkräftebildung in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland insgesamt, so kann man durchaus sagen, dass mit der QLB eine bislang nicht dagewesene institutionelle und finanzielle Investition in die deutsche Lehrkräftebildung vollzogen wurde. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass sich diese Investition de facto hauptsächlich auf die erste, universitäre Phase richtete. Mit dem Auslaufen der QLB Ende 2023 stellt sich die Frage, welche positiven Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt werden konnten, und zwar in doppeltem Sinne: Erstens – welche in der QLB entwickelten vielfältigen neuen Formate in der Lehrkräftebildung haben sich bewährt, und welche haben weniger gut oder gar nicht funktioniert? Zweitens – Wie hat sich die QLB insgesamt als Innovationsstrategie bewährt.
Natürlich ist es für eine erfahrungs- und forschungsbasierte Bilanzierung der mittel- und langfristige Wirkungen viel zu früh, aber immerhin: Nach Meinung der allermeisten Beobachterinnen und Beobachter hat die QLB, alles in allem betrachtet, die Position und die Situation der Lehrkräftebildung an den Universitäten klar verbessert, sie hat sie aber wohl nicht auf eine völlig neue, höhere Qualitätsebene gehoben. Hinzu kommt: Leider fällt das Ende der QLB in eine Phase des Lehrkräftemangels, und eine solche Phase, das zeigen historische Erfahrungen, ist in der Regel keine gute Zeit ist für Qualitätsverbesserungen in der Lehrkräftebildung. Der Druck in Richtung auf eine schnelle Abmilderung des Mangels (beispielsweise durch zum Teil verkürzte Studien- beziehungsweise Nachqualifizierungsmodelle) ist groß.
Im Folgenden sollen knapp einige aktuell zu identifizierende zentrale Ergebnisse aus der Sicht der Wissenschaft festgehalten werden.
(1) Man kann mit Fug und Recht sagen, dass durch die QLB die Aufmerksamkeit der Universitätsleitungen für das Thema Lehrkräftebildung gewachsen ist, vor allem in dem Maße, in dem im Zusammenhang mit der QLB auch die Forschungsleistungen der Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken stiegen und zugleich auch sichtbarer wurden. Sicherlich sind die Verhältnisse mit Blick auf die unterschiedlichen Fächerkulturen unterschiedlich, und ebenso sieht es an den Standorten unterschiedlich aus, aber insgesamt lässt sich doch ein positives Bild zeichnen.
(2) Der Prozess der QLB hat durchweg dazu geführt, dass die verschiedenen Akteure (Fächer, Personen) innerhalb der universitären Lehrkräftebildung entsprechend den Ankündigungen im Antrag ihre aufgabenbezogene Zusammenarbeit bis hinein in die Ebene gemeinsamer Lehrveranstaltungen, Entwicklungsprojekte et cetera verstärken konnten, verstärken mussten. Dies ist nicht immer ohne Schwierigkeiten und Rückschläge verlaufen, aber immerhin sind übergreifende Strukturen und auch im Alltag funktionierende Arbeitszusammenhänge geschaffen worden.
(3) Die QLB hat zwar insgesamt, wie beschrieben, bundesweit einheitliche, aber doch breit definierte Ziele verfolgt. In der geforderten standort- beziehungsweise projektspezifischen Ausformung hat sie jedoch die Unterschiedlichkeit der standortspezifischen Lehrkräftebildungen deutlich gesteigert. Das ist konsequent: Wenn die schulische Welt, der Arbeitsplatz der Lehrkräfte vielfältiger wird, sollte man in der Lehrkräftebildung darauf mit Vielfalt zu reagieren. Merke: Die QLB war nicht einfach ein Experiment – sie hat zu ganz vielen unterschiedlichen Experimenten geführt.
(4) Diese Steigerung der Vielfalt zeigte sich insbesondere in Gestalt der auf die Belange der Lehrkräftebildung gerichteten inner-universitären „Querstrukturen“, also bei den Zentren für Lehrkräftebildung beziehungsweise Schools of Education. Es hat sich hier keine überzeugende one-size-fits-all–Lösung herauskristallisiert. Der Erfolg solcher Einrichtungen hängt sehr stark von den beteiligten Personen ab, die mit unterschiedlicher Positionierung, Überzeugungskraft, Geschicklichkeit... die Belange der Lehrkräftebildung innerhalb des inner- und außeruniversitären Interessengefüges vertreten.
(5) Ebenso ist es standortspezifisch zu einer großen Vielfalt von neuen Praktikums- und Mentoring-Projekten gekommen, inklusive der Entstehung neuer videogestützter Verfahren. Zwar gab es aufgrund der je länderspezifischen Regelungen in diesem Bereich schon immer eine bunte Vielfalt; innerhalb der Bundesländer, an den einzelnen Standorten ist jedoch diese Vielfalt durch die QLB noch größer geworden – und natürlich auch die begleitende Forschung zu den Prozessen und Effekten von innovativen Lehr-Lern-Formaten.
(6) Während die QLB die Situation innerhalb der ersten, universitären Phase der Lehrkräftebildung allen Beobachtern zufolge erkennbar verbessert hat, hat sie in einem geringeren Maße zur Verknüpfung der ersten mit der zweiten Ausbildungsphase (Referendariat) beigetragen, und noch weniger in Richtung auf die dritte Phase der Lehrkräftebildung gewirkt. Aber darauf war sie eben primär auch nicht gerichtet.
Speziell aus Sicht der an Lehrkräftebildung beteiligten Wissenschaften ist festzuhalten, dass die QLB zu einer quantitativen und qualitativen Steigerung der empirischen Forschung zur Lehrkräftebildung beigetragen hat. Insgesamt zwar eher als ein Entwicklungsprojekt zur Verbesserung der Praxis der universitären Lehrkräftebildung angelegt, war diese Entwicklungsarbeit doch immer auf im weiteren Sinne bildungswissenschaftliche Forschungsarbeit gestützt beziehungsweise wurde von Forschung begleitet. Allerdings befassen sich bislang nur ganz wenige wissenschaftliche Texte in dezidiert theoretisch-analytischer Ausrichtung mit der grundlegenden Strategie, dem Ansatz, dem Verlauf und den bisher erkennbaren Folgen der QLB.
Versuch eines Fazits
Insgesamt sind durch die QLB das Bild und die Situation der universitären Lehrkräftebildung einerseits besser, prägnanter, aber zugleich auch vielfältiger, ja unübersichtlicher geworden. Und deshalb ist es und wird es schwierig sein, genaue Wirkungen der QLB festzustellen, also gewissermaßen standortspezifisch, länderspezifisch und bundesweit dingfest zu machen. Und dass nicht nur, weil generell wirklich überzeugende klare Wirkungsbeweise dieser oder jener Neuerungen im Bildungssystem, auch und gerade im System der Lehrkräftebildung, schwer zu erbringen sind.
Im Grunde ‚wirkt‘ die QLB in doppelte Richtung: Einerseits hat sie die Situation der Lehrkräftebildung in den Universitäten prägnanter und profilierter gemacht – und andererseits im Konkreten vielfältiger, heterogener, beweglicher. Genau diese Ambivalenz führt dazu, dass man es nicht mit ein zwei drei... klar identifizierbaren Wirkungen zu tun hat. Stattdessen geht es wohl eher um einen durch die QLB mit beförderten und intensivierten, zwar lokal stattfindenden, aber letztlich doch eher breiten Kulturwandel im gesamten Feld der (universitären) Lehrkräftebildung, dessen stabilen Folgen noch nicht absehbar sind. Die vielfältiger gewordenen Prozesse in der ersten Phase der Lehrkräftebildung wirken eben auch in einer bunteren, ‚gestreuten‘ Weise. Merke: Es gab und gibt eben gar nicht die eine QLB, die dann eben belegbar und genau diese zwei oder drei Wirkungen hätte haben können.
Prof. Dr. Ewald Terhart zählt im deutschsprachigen Raum zu den führenden Forschern im Bereich der Lehrkräftebildung. Hierzu sowie zur allgemeinen Fragen der Professionalität im Lehrkräfteberuf hat und vielbeachtete Publikationen vorgelegt. Seit den 1990er Jahren war er Mitglied in zahlreichen Expertenkommissionen zur Reform der Lehrkräftebildung. Von 2014 bis zu seiner Emeritierung leitete er das QLB-Projekt der Universität Münster.