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Should I stay or should I leave?“ – Zugehörigkeitsgefühl und Abbruchintentionen von Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund : Datum:

Eine Studie mit Lehramtsstudierenden zeigt, dass Studierende mit Migrationshintergrund sich ihrem Studium weniger zugehörig fühlen und eher dazu neigen, es abzubrechen. Es gibt zudem Hinweise auf Zusammenhänge zwischen dem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl und der Entscheidung, das Studium vorzeitig zu beenden. Entsprechend unterrepräsentiert sind sie als Lehrkräfte an deutschen Schulen. Im Kontrast dazu besteht seit Jahren die politische Forderung nach mehr Lehrkräften mit Migrationsgeschichte.

Zwei Frauen und ein Mann sitzen nebeneinander am Tisch und schauen auf Bildschirme. Ein weiterer Mann steht dahinter und spricht zu ihnen.
Fortbildungsangebote für den digital gestützten Unterricht von Morgen stehen im Zentrum der Kompetenzzentren. © BMBF/Michael Kowalczyk

Von Kristin Wolf und Mareike Kunter

Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund

Bereits in der Schulzeit zeigen sich Bildungsnachteile für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Dieser Trend setzt sich auch im Hochschulstudium fort. Internationale und nationale Studien zeigen, dass Studierende mit Migrationshintergrund höhere Abbruchquoten aufweisen und mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sind. Sie berichten von Diskriminierungserfahrungen und geringerer sozialer Unterstützung auf ihrem Campus. Diese Erfahrungen beeinflussen nicht nur das Wohlbefinden der Studierenden, sondern stellen auch eine Bedrohung für ihr Zugehörigkeitsgefühl dar.

Zugehörigkeitsgefühl im Lehramtsstudium

Das Zugehörigkeitsgefühl zu anderen Personen, Gruppen oder Institutionen ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis und gilt als wichtige Schlüsselvariable für den Studienerfolg. Es gibt nachweisbare Zusammenhänge sowohl mit der akademischen Leistung, der Motivation und der akademischen Selbstwirksamkeit als auch mit dem Wohlbefinden. Das Zugehörigkeitsgefühl in der Lehramtsausbildung und im Lehrerberuf ist bisher jedoch noch wenig untersucht. Dabei könnte dies vor allem im Lehramtsstudium, in dem sich die Studierenden in stetig wechselnden Lerngruppen und akademischen Kulturen aufhalten, eine besondere Bedeutung haben. In einer Studie mit Lehramtsstudierenden hat ein Forschungsteam des DIPF und der Goethe-Universität Frankfurt das Zugehörigkeitsgefühl und die Abbruchintentionen anhand einer Stichprobe von 925 Lehramtsstudierenden an vier deutschen Hochschulen über zwei Messzeitpunkte untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden mit Migrationshintergrund im Vergleich mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl und höhere Abbruchintentionen aufwiesen. Zudem zeigt sich ein – wenn auch kleiner – Effekt des Zugehörigkeitsgefühls auf die Abbruchintentionen der Studierenden mit Migrationshintergrund. Das Gefühl, sich im Studium fremd zu fühlen, könnte somit ein Risikofaktor dafür sein, das Studium ohne Abschluss zu beenden.

Wie kann man Studierende mit Migrationshintergrund unterstützen?

Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Förderung des Zugehörigkeitsgefühls der Studierenden dazu beitragen kann, den Studienabbruch zu reduzieren und damit den Studienerfolg zu fördern. Doch wie kann das gelingen? Insbesondere unterstützende Interaktionen mit Peers und Hochschullehrkräften sowie wertschätzendes Feedback haben sich in anderen Studien als hilfreich erwiesen. Dies könnte in den Lehrveranstaltungen konkret durch den Einsatz kooperativer Lernformen, Tutorenprogramme und Projektarbeiten gelingen. Doch auch außeruniversitäre Veranstaltungen wie Erstsemesterwochen, Studierendengruppen und soziale Aktivitäten bieten Gelegenheit, das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken. Neben der Entwicklung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen scheint es sich zu lohnen, auch sozio-emotionale Aspekte wie das Zugehörigkeitsgefühl von Studierenden im Allgemeinen in den Blick zu nehmen, um die Risiken für Studienabbruch zu senken und die Studierenden auf ihrem Weg zur Lehrkraft zu unterstützen. Diese Ressource verdient angesichts des aktuellen Lehrkräftemangels besondere Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt handelt es sich jedoch auch um eine Frage der Bildungsgerechtigkeit, dass alle Studierenden unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Chancen haben, das Studium erfolgreich zu beenden. Bei der Planung gezielter Interventionen gilt es zu beachten, dass die Studierenden mit Migrationshintergrund eine sehr heterogene Gruppe bilden. Spezielle Unterstützungsangebote bringen immer die Gefahr von Stigmatisierung, Übergeneralisierung und Labelling mit sich und können somit mögliche Gefühle des Andersseins noch verstärken. Weitere Forschung ist notwendig, um Risikostudierende zu identifizieren und unabhängig von ihrem Hintergrund auf ihrem Weg zur Lehrkraft individuell zu fördern.

Dr. Kristin Wolf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIPF in der Abteilung „Lehr- und Lernqualität in Bildungseinrichtungen“.
Prof. Dr. Mareike Kunter ist Direktorin am DIPF und Professorin für Pädagogische Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt.


Hinweise zur zitierten Studie:
Datenbasis: Die untersuchten Daten stammen aus dem an der Goethe-Universität Frankfurt koordinierten Forschungsprogramm „Bildungswissenschaftliches Wissen und der Erwerb professioneller Kompetenz in der Lehramtsausbildung (BilWiss)“. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Programm untersuchte gemeinsam mit weiteren Hochschulen von 2009 bis 2019, wie sich das bildungswissenschaftliche Wissen von (angehenden) Lehrkräften im Verlauf des Lehramtsstudiums entwickelt und welche Bedeutung es für den späteren Berufserfolg als Lehrkraft hat. Es ist geplant, langfristig angelegte Studien aus dem Projekt künftig am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation fortzuführen und auf einer eigenen Website zu dokumentieren.