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Pädagogische Praxis und interkulturelle Erfahrungen : Datum:

Der Wert mehrmonatiger Auslandsaufenthalte während eines Lehramtsstudiums steht außer Frage. Angesichts der Vielfalt und Diversität in Klassenzimmern sind keineswegs nur angehende Fremdsprachenlehrkräfte angesprochen. Mit Erasmus+ eTwinning gibt es neuerdings auch ein Angebot des Pädagogischen Austauschdienstes der Kultusministerkonferenz, um sich Medienkompetenz und interkulturelle Erfahrungen im digitalen Austausch anzueignen.

Eine junge Lehrerin beugt sich über eine Reihe von Schülern, die in ihren Schulheften schreiben.
Angesichts der kulturellen Diversität in Klassenzimmern profitieren Lehrerinnen und Lehrer aller Fachbereiche und Schularten von interkulturellen Erfahrungen. © PAD / Marcus Gloger

Von Martin Finkenberger

Wer an der Universität Münster eine moderne Fremdsprache auf Lehramt studiert und den Geschäftsführer des dortigen Zentrums für Lehrerbildung (ZfL) um Rat zur Dauer eines Schulpraktikums im Ausland bittet, bekommt eine klare Antwort: Statt nur wenige Wochen irgendwo hinein zu schnuppern, sollten Studierende sich auf mehrere Monate oder sogar ein ganzes Schuljahr einlassen ‒ und sich zum Beispiel für das Fremdsprachenassistenzkräfteprogramm des Pädagogischen Austauschdienstes (PAD) der Kultusministerkonferenz bewerben. »Es ist die damit verbundene Tiefe der Erfahrung. Ein dreimonatiger Aufenthalt ist gut für erste Eindrücke und um Sprachpraxis zu bekommen. Als Fremdsprachenassistent dagegen muss ich mich auf viel mehr einlassen«, erläutert Dr. Martin Jungwirth, der das ZfL seit 2012 leitet.

Pädagogische Eignung ausprobieren

Diese Einschätzung folgt nicht allein wissenschaftlichen Erkenntnissen auf der Basis empirischer Befunde, die den Wert solcher Auslandsaufenthalte belegen. Denn Dr. Martin Jungwirth kennt das Programm auch aus eigener Erfahrung. Während seines Lehramtsstudiums der Fächer Anglistik, Politik und Sozialkunde war er 1997/98 vom PAD an die Bournemouth Grammar School an der Südküste Englands vermittelt worden. Als Fremdsprachenassistent unterstützte er dort die Schüler bei ihren Vorbereitungen auf Deutschprüfungen und setzte landeskundliche Akzente: „Wann immer sich die Gelegenheit bot, habe ich versucht, Lokalkolorit aus meiner Heimatstadt Ibbenbüren einzubauen. Damit wollte ich zeigen, dass Deutschland mehr zu bieten hat als Lederhose, Schwarzwald und Schnitzel“, sagt er.

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Wir haben heute eine so große Vielfalt in unseren Klassenzimmern, dass eigene Fremdheitserfahrungen den Blick schärfen können für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, deren Familien zugewandert sind.

Dr. Martin Jungwirth

Ihm selbst wiederum eröffnete das Schuljahr die Möglichkeit, seine Englischkenntnisse zu erweitern, die Menschen im Alltag kennenzulernen und ohne Notendruck oder Prüfungsstress im Unterricht die eigene pädagogische Eignung auszuprobieren. „Das alles sind Erfahrungen, von denen ich vielleicht ein Leben lang zehre“, sagt er im Rückblick. Umso engagierter setzt er sich heute dafür ein, dass möglichst viele Studierende ähnliche Erfahrungen machen und nicht nur angehende Fremdsprachenlehrkräfte Auslandsaufenthalte als Selbstverständlichkeit in ihren Studienverlauf einplanen. Angesichts der kulturellen Diversität in Klassenzimmern könnten auch künftige Mathematik- oder Biologielehrkräfte davon profitieren: „Wir haben heute eine so große Vielfalt in unseren Klassenzimmern, dass eigene Fremdheitserfahrungen den Blick schärfen können für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, deren Familien zugewandert sind“, fasst Dr. Martin Jungwirth zusammen.

Dass die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen stimmen müssen, um dieses Eintauchen in einen ungewohnten Alltag und praktische Unterrichtserfahrungen in einem anderen Schulsystem zu ermöglichen, steht außer Frage. Gerade das Programm für Fremdsprachenassistenzkräfte zeichnet sich durch eine vergleichsweise solide Höhe des Stipendiums aus. Je nach Zielland liegt diese bei 800 bis 1.000 Euro. Doch selbst unter diesen Voraussetzungen wird es auch künftig Lehramtsstudierende geben, die einen Auslandsaufenthalt nicht einplanen können oder möchten. Mit Studierenden anderer Länder können sie dennoch in Kontakt treten. Möglich wird dies durch digitale Angebote, die sich gezielt an Lehramtsstudierende richten, so etwa im Rahmen von eTwinning als Teil des Programms Erasmus+. Ein Schritt dazu ist die Initiative „Initial Teacher Education“ (ITE), durch die Formate des digitalen Austauschs mit eTwinning verstärkt in die Lehrkräfteausbildung einbezogen werden sollen.

Interkulturelle Erfahrungen mit eTwinning

Richard Powers hat sich bereits auf den Weg gemacht. Der gebürtige Amerikaner lehrt im Projekt der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ „Lehrerbildung PLUS“ an der Pädagogischen Hochschule Stuttgart-Ludwigsburg. Seit er vor einigen Jahren eTwinning entdeckt hat, ist er ein großer Fan des europäischen Schulnetzwerkes. Diese Begeisterung möchte er an die Lehramtsstudierenden seiner Kurse weitergeben und ihnen die Grundlagen für eigene Projekte vermitteln. „Als Amerikaner habe ich erlebt, wie bereichernd es ist, unterschiedliche Kulturen zu verstehen. Und als Dozent, der das Internet seit Jahren für die Onlinekommunikation nutzt, erlebe ich es als fantastische Lernmöglichkeit“, schwärmt er. Damit will er auch der Initiative „Lehrerbildung PLUS“, für die er als Projektmanager arbeitet, neue Impulse geben. An seinem ersten eTwinning-Projekt nahmen 20 Studierende teil. Statt trockenes Fachwissen teilten sie mit ihren französischen Projektpartnern dynamische Videos etwa über das Thema „Frauen im Hip-Hop“ und reflektierten über interkulturelle Unterschiede in der Musik. Auch in der Veranstaltung im folgenden Semester profitierten die Studierenden von Richard Powers Expertise. Er unterstützte sie bei der Registrierung im TwinSpace von eTwinning, in dem die Studierenden sich eine sichere Lernumgebung für ihr Austauschprojekt einrichten können, und gab ihnen praktische Tipps. Innerhalb der 13 Seminarwochen probierten die Lehramtsstudierenden die technischen Grundlagen aus, holten sich Anregungen von Lehrkräften prämierter Schulprojekte und erhielten von Woche zu Woche Aufgaben, zum Beispiel, wie man Videos postet oder Onlinediskussionen organisiert. Und zu Semesterende präsentierten sie stolz ihre eigenen Projekte mit Lehramtsstudierenden aus der Türkei, Italien, Frankreich und Polen.

Schon im Studium üben

Eine von ihnen war die 23-jährige Lina, die Englisch und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien studiert. Der Kurs ermöglichte ihr ein praxisorientiertes und interkulturelles Lernerlebnis auf der Lernplattform von eTwinning, der sie weder in ihrer Schulzeit noch als studentische Aushilfe an einer Schule begegnet war. „Deshalb fand ich es hilfreich, mich an der Uni Schritt für Schritt einzuarbeiten und die Plattform auszuprobieren. Denn wenn man erst im Beruf damit in Berührung kommt, traut man es sich vielleicht nicht zu. Man sollte es besser schon vorher üben“, stellt Lina fest. Und eben dazu inspirierte ihr amerikanischer Dozent. „Dadurch habe ich mich getraut, Neues auszuprobieren“, lautet ihr Fazit.

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Das Netzwerk ist offen für interessierte Einrichtungen, die ihren Lehramtsstudierenden mit eTwinning Medienkompetenz und interkulturelle Erfahrungen ermöglichen wollen. Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht.

Dr. Anne Laaredj-Campbell

Damit nicht nur Studierende in Stuttgart diese Chance haben, wünscht Richard Powers sich eine feste Verankerung in den Lehramtscurricula oder Schulpraktika. „eTwinning bringt die Menschen zusammen und Kinder lernen, Stereotype zu hinterfragen. Damit tragen sie zur Völkerverständigung bei und verstehen, wie sinnlos Kriege sind“, sagt er mit Blick auch auf die aktuellen Ereignisse. Sein Wunsch deckt sich mit dem Ziel der Nationalen Agentur Erasmus+ Schulbildung im PAD, weitere Pädagogische Hochschulen, Zentren für Lehrerbildung oder auch Studienseminare für die ITE-Initiative zu gewinnen. „Das Netzwerk ist offen für interessierte Einrichtungen, die ihren Lehramtsstudierenden mit eTwinning Medienkompetenz und interkulturelle Erfahrungen ermöglichen wollen. Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht“, sagt Dr. Anne Laaredj-Campbell, die in der Nationalen Agentur die Initiative koordiniert.


Martin Finkenberger leitet das Referat Öffentlichkeitsarbeit des Pädagogischen Austauschdienstes des Sekretariats der Kultusministerkonferenz.