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Nach 3 Semestern nichts gelernt? : Datum:

Seit anderthalb Jahren steht die Welt Kopf – mit ihr auch die Hochschulen. So kam es, dass für die knapp 3 Millionen Studierenden Lehre daraus bestand, im WG-Zimmer am Laptop zu sitzen und zu hoffen, dass schon alles irgendwie wird. Inzwischen sind drei Semester vergangen, und es wird mit Zuversicht auf die Rückkehr zur Normalität hingearbeitet, wobei die überdurchschnittlichen Impfquoten unter Studierenden hoffen lassen. Doch für den Blick auf das kommende Semester lohnt auch ein Blick zurück.

Ein junger Mann geht alleine in einem Treppenhaus eine Treppe hinauf.
Die Corona-Pandemie hat auch das studentische Leben stark beeinflusst. © BMBF/Alexandra Roth

Von Iris Kimizoglu

Analoge Lehre im digitalen Raum

Hochschullehre glänzt in Deutschland viel zu oft durch die Abwesenheit von Didaktik. In Zeiten von Corona verstärkte sich der Eindruck. Neben vielen äußerst engagierten Lehrenden waren viele zufrieden, als die Online-Konferenz endlich funktionierte und das analoge Lehrkonzept einfach eins zu eins auf den digitalen Raum übertragen werden konnte. Doch digitale Lehre funktioniert anders – die Konzentrationsfähigkeit der Lernenden ist geringer, kleinere Kurse, interaktive Formate, ausgeprägte Moderationsfähigkeiten sowie eine gute Infrastruktur sind für erfolgreiche digitale Lehre das A und O. Nur in wenigen Fällen wurden Lehrkonzepte jedoch tatsächlich überarbeitet und nach Maßstäben digitaler Didaktik umgesetzt. Nach drei Semestern hat sich dies nicht sonderlich geändert. Die Lehrqualität hat darunter massiv gelitten. Doch dort, wo Lehrende sich darum bemüht haben, Konzepte umzugestalten und die Chancen digitaler Lehre zu nutzen, kam auch Begeisterung für digitale Lehre auf.

Die erste Lehre aus Corona lautet: analoge Lehre lässt sich nicht eins zu eins digital übersetzen, sondern folgt eigenen didaktischen Logiken. Wenn wir es mit digitaler Lehre beziehungsweise Lehrelementen ernst meinen, müssen wir die didaktischen Fähigkeiten der Lehrenden ausbauen und die passgenaue Konzipierung von Lehre einfordern.

Welche Prüfungen wollen wir

Noch immer überwiegt in der deutschen Hochschullehre das Paradigma wissensbasierter Lehre. Bis zu einem gewissen Grad ist dies auch sinnvoll, da es Wissen benötigt, um Sachverhalte einordnen zu können. Doch in Zeiten, in denen das Wissen nur einen Mausklick entfernt liegt und die Lernfähigkeit des Menschen übersteigt, ist kompetenzorientierte Lehre zukunftsweisend. Mit der Debatte um Proctoring und Überwachung wurde deutlich, dass viele noch immer am alten Lehrparadigma festhalten, selbst dann, wenn dies dem eigentlichen Lernziel nicht dient. Anstatt die eigenen Lehransätze zu hinterfragen, wurde lieber der Mythos der schummelnden Studierenden bedient. Dort, wo Proctoring als notwendig angesehen wird, stimmt in Wirklichkeit etwas mit der Prüfung selbst nicht. Abseits dessen zeigt die Debatte auch, dass in Deutschland noch immer Fragen des Datenschutzes, der Privatsphäre und Antidiskriminierung über Bord geworfen werden, wenn es der Bequemlichkeit und Kosteneinsparung dient. Gleichzeitig zeigt die Masse der Proctoring-freien Prüfungen, dass es anders geht.

Die zweite Lehre aus Corona lautet: Kompetenzorientiertes Prüfen ist die Zukunft, und es gilt eigene Ansätze zu überdenken, sowie Studierenden mehrheitlich zu vertrauen. Zudem dürfen Datenschutzrechte, das Recht auf Privatsphäre und Fragen der Antidiskriminierung nicht der Bequemlichkeit weichen, sondern müssen als Grundrechte gesichert sein.

Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden neu Denken

Die deutsche Hochschulkultur ist hierarchisch und kompetitiv. Dies äußert sich zum Beispiel darin, dass Studierende in Entscheidungsprozesse selten umfassend eingebunden sind und dass das inzwischen stark verschulte Studium durch stetig wachsende Zwänge Studierende belastet. Doch mit Corona wurden viele Regeln erstmals gelockert und in der Folge hinterfragt. Freiversuchsregelungen wurden erweitert, Anwesenheitszwänge ausgesetzt, Prüfungsordnungen gelockert und gar die Regelstudienzeit flexibilisiert.
Entgegen mancher Befürchtung trat weder das absolute Chaos ein, noch gab es leere Hörsäle oder einen enormen Anstieg in der Prüfungslast. Im Gegenteil: nach drei Semestern zeigt sich, dass Studierende verantwortungsbewusst sind, auch wenn dies durch das Bielefelder Studienmodell eigentlich schon längst bekannt ist. Daneben wurden Lehre und Prüfungen oft durch das Feedback von Studierenden verändert beziehungsweise gemeinsam gestaltet, sodass Lehrende durch eine ausgeprägte Fehlerkultur während Corona die Chance hatten, gemeinsam mit und von Studierenden in Sachen Lehre zu lernen. Das Misstrauen und die Missgunst, die sich über Jahrzehnte bei vielen Lehrenden angestaut haben, die sich in den Wogen eines zutiefst kompetitiven Bildungswesens bewegen, haben sich als schlichtweg unbegründet erwiesen.

Die dritte Lehre aus Corona lautet: Lehrende können und müssen Studierenden vertrauen. Eine demokratische Hochschulkultur fördert das Verhältnis unter den verschiedenen Statusgruppen zueinander und schafft gemeinsame Gestaltungsspielräume. Ein Kulturwandel der Hochschulen ist zukunftsweisend, kreativitätsfördernd und zum Vorteil aller.

Corona hat viele Missstände im Hochschulwesen offengelegt. Das Gute: es hängt an "uns". Durch ausreichend Mittel und einem paradigmatischen Wandel lässt sich all das, was während Corona gut gelaufen ist, mitnehmen. Es benötigt lediglich den politischen Willen einerseits und die Offenheit insbesondere der Lehrenden andererseits. Doch bis dahin ist zu resümieren, dass heute erneut diskutiert wird, was schon vor drei Semestern zum Disput stand. Nachhaltige Veränderung ist bislang wenig und wenn, nur punktuell zu spüren.

Iris Kimizoglu ist Vorständin beim freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs), dem bundesweiten Dachverband deutscher Studierendenvertretungen.