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Mit Lehrpersonen POLKA tanzen – keine klassische Fortbildung an der Universität Kassel : Datum:

Hinter POLKA verbirgt sich das Projekt "Unterricht in professionellen Lerngemeinschaften kriterial analysieren und weiterentwickeln". POLKA ist keine klassische Fortbildung, sondern ein Unterrichtsentwicklungsvorhaben, das eine Schule-Hochschule-Partnerschaft verwirklicht. Es wird derzeit gemeinsam von der Universität Kassel und dem Alexander-von-Humboldt-Gymnasium im mittelhessischen Lauterbach erprobt und weiterentwickelt.

Drei Männer sitzen am Tisch bei einer Besprechung
Wissenschaftliche Expertise in der Schulpraxis nutzen: Lehrkräfte beobachten und analysieren Unterricht mit Kriterien aus der Wissenschaft © Joachim Gerking

Von Frank Lipowsky, Daniela Rzejak und Victoria Bleck

Anknüpfend an verschiedene Professionalisierungsansätze entwickelte die Universität Kassel ein Konzept, das drei Säulen wirksamer Fortbildungen für Lehrpersonen zu verbinden versucht: Die Arbeit in professionellen Lerngemeinschaften, die Fokussierung auf Merkmale der Tiefenstruktur von Unterricht und die konkrete Anbindung an den eigenen Unterricht der Lehrpersonen.

Die Arbeit in den professionellen Lerngemeinschaften des Projekts "Unterricht in professionellen Lerngemeinschaften kriterial analysieren und weiterentwickeln" (POLKA) ist in Runden organisiert, die sich jeweils über mehrere Monate erstrecken. Hierbei arbeiten die an dem Projekt teilnehmenden Lehrpersonen in festen Teams bestehend aus 3 bis 5 Personen zusammen, die fachheterogen oder -homogen zusammengesetzt sind. Jede POLKA-Runde ist zyklisch aufgebaut. Nach einer einführenden Phase des Literaturstudiums, die auch durch Unterrichtsvideos angereichert werden kann, wechseln sich Phasen der kollegialen Hospitation und gemeinsame Phasen der Analyse von und Reflexion über Unterricht ab.

Jede POLKA-Runde wird seitens der Universität mit Materialien unterstützt

Das Team der Universität Kassel stellt den professionellen Lerngemeinschaften an der Schule für jede POLKA-Runde ein "Materialpaket" zur Verfügung. Bestandteile dieses Pakets sind eine Einführung in den Ablauf von POLKA, eine Art Handreichung zu einem vorab ausgewählten Merkmal von Unterrichtsqualität (beispielsweise kognitive Aktivierung, Umgang mit Schülerbeiträgen im Unterrichtsgespräch, Feedback) sowie ein Beobachtungsbogen. Die Einführung in den Ablauf von POLKA dient dabei einer einmaligen Erläuterung der zentralen Schritte und Materialien. In der Handreichung wird die Bedeutung des fokussierten Merkmals von Unterrichtsqualität erläutert und anhand von Indikatoren und Beispielen konkretisiert und veranschaulicht. Der Beobachtungsbogen bezieht sich mit seinen Kriterien ebenfalls auf das ausgewählte Merkmal von Unterrichtsqualität und orientiert sich mit seiner Schwerpunktsetzung somit am Stand der Unterrichtsforschung. Die erste POLKA-Runde mit dem Gymnasium in Lauterbach hatte beispielsweise die kognitive Aktivierung im Unterricht zum Gegenstand. Für jede inhaltlich neu ausgerichtete POLKA-Runde erhält die Schule von der Universität eine neu ausgearbeitete Handreichung und einen neuen Beobachtungsbogen.

Die vier Schritte von POLKA: Studium der Materialien, wechselseitige Hospitationen, Dokumentation unterrichtlicher Beobachtungen und gemeinsame Reflexion des Unterrichts

Der Ablauf von POLKA sieht im Einzelnen vor, dass die Lehrpersonen die Handreichung und den Beobachtungsbogen mit dem Ziel studieren, ein erstes geteiltes Verständnis vom jeweiligen Merkmal der Unterrichtsqualität zu erlangen und zu erkennen, worum es im Kern des Qualitätsmerkmals geht. Der auf die Handreichung aufbauende Beobachtungsbogen beinhaltet Indikatoren des jeweiligen Merkmals, lässt aber auch Platz für die Formulierung eigener Beobachtungskriterien, ist also anpassbar. Im POLKA-Ablauf steht nach dem Studium der Handreichung und des Beobachtungsbogens die erste kollegiale Unterrichtshospitation an: Ein Mitglied des POLKA-Teams unterrichtet, die anderen Lehrpersonen des Teams beobachten und analysieren den Unterricht unter Heranziehung der zur Verfügung gestellten Beobachtungskriterien. Möglichst zeitnah findet dann die Reflexion über die Unterrichtsbeobachtungen statt, bevor – gegebenenfalls unterbrochen durch ein erneutes Studium der Handreichung – die zweite Hospitation und die zweite Reflexion stattfinden.
 

POLKA-Zyklus mit 4 Schritten
POLKA-Zyklus mit 4 Schritten © Lipowsky, Rzejak & Bleck, 2020 

Ein solcher Zyklus aus Hospitation, Analyse, Reflexion und ggf. erneutem Studium der Handreichung dauert meist nur 1 bis 2 Wochen. Eine ganze POLKA-Runde besteht – je nach Anzahl der Mitglieder der POLKA-Teams – aus 3 bis 5 Zyklen und erstreckt sich somit über einen Zeitraum von ca. 2-3 Monaten.

Partnerschaft von Schule und Hochschule

Der Aufbau des Vorhabens in Runden und Zyklen, die Abfolge bestimmter "Schritte" und das partnerschaftliche Zusammenwirken von Schulpraxis und Wissenschaft lassen mit etwas Fantasie eine Analogie zu einer Polka als einem "Paartanz" erkennen und haben dem Projekt zu seinem Namen verholfen.
Die bisherigen Erfahrungen aus POLKA sind positiv, sodass sich die Anzahl der POLKA-Lehrpersonen und der POLKA-Teams in der zweiten Runde an der Schule erhöhte. Die Analyse einiger auf Audio dokumentierten Unterrichtsnachbesprechungen aus der ersten POLKA-Runde verdeutlicht, wie ernsthaft die Lehrpersonen ihren eigenen Unterricht reflektierten, wie häufig sie hierbei eine Verbindung zwischen dem eigenen Unterricht und den wissenschaftlichen Kriterien herstellten und auch, dass die jeweils unterrichtende Lehrperson erst durch die Rückmeldungen der Kolleginnen und Kollegen auf bestimmte Ereignisse und Reaktionen der Schülerinnen und Schüler aufmerksam wurde.

Wissenschaftliche Expertise produktiv für die Schulpraxis nutzen

In dieser Kooperation von Wissenschaft und Schule wird die Expertise der Wissenschaft auf produktive Weise in der schulischen Praxis genutzt. Vielfach erschweren der Mangel an zeitlichen Ressourcen sowie die Unübersichtlichkeit, eingeschränkte Zugänglichkeit und teilweise auch die schwere Verständlichkeit der Forschungsliteratur den an Schulen tätigen Professionellen die Kenntnisnahme und die angepasste und produktive Umsetzung von Forschungsergebnissen. Mittelfristig ist angedacht, POLKA auch mit anderen Schulen zu erproben und auf Wirkungen zu untersuchen.

  

Frank Lipowsky ist Professor für Empirische Schul- und Unterrichtsforschung und Leiter des Projekts "Professionalisierung durch Vernetzung" (PRONET²) an der Universität Kassel.
Daniela Rzejak ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Empirische Schul- und Unterrichtsforschung und am Zentrum für Lehrerbildung. Ihr Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt ist die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften.
Dr. Victoria Bleck ist Akademische Rätin auf Zeit an der Professur für Empirische Schul- und Unterrichtsforschung und forscht zur professionellen Kompetenz von Lehrpersonen.