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Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel : Datum:

„Wegen Lehrermangels nicht erteilt“: Bundesweit fanden Schülerinnen und Schüler im Januar diesen Satz auf ihren Halbjahreszeugnissen. Thüringen ist eines der wenigen Bundesländer, das dazu auch statistische Zahlen liefert: Dort gab es in über 600 Schulklassen Zeugnisse, auf denen eine oder mehrere Fachnoten fehlten – weil die Lehrkräfte nicht zur Verfügung standen.

Studierende in Seminarsituation
Der akute Bedarf, Quer- und Seiteneinsteiger für den Lehrerberuf zu gewinnen und zu qualifizieren, gehört zu den drängenden Themen der Lehrerbildung in Deutschland. © BMBF/Alexandra Roth

Von Armin Himmelrath

"Der Lehrermangel ist Ausdruck eines Problems, das wir nicht nur in Thüringen haben, sondern deutschlandweit", sagte Helmut Holter, Bildungsminister in Thüringen und gleichzeitig aktueller Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK): "Alle Länder sind sehenden Auges hineingelaufen.“

Und der Mangel könnte noch größer werden: Mehrere Untersuchungen zeigen, dass in den kommenden Jahren zehntausende Lehrkräfte in Deutschland fehlen werden. So prognostiziert das Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS), dass bis 2025 an berufsbildenden Schulen in Deutschland etwa 151.000 Lehrkräfte benötigt werden. Die offizielle Schätzung der KMK geht dagegen nur von 129.000 benötigten Lehrern aus – macht eine Lücke von 22.000 Pädagogen. Und die Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass an den Grundschulen bis 2025 weitere 35.000 Lehrkräfte fehlen werden, in der Sekundarstufe I sind es ab 2030 noch einmal rund 27.000 Lehrer.

„Dahinter stecken vor allem drei Gründe“, sagt Dirk Zorn, Bildungsforscher bei der Bertelsmann-Stiftung:

  • Viele Lehrer wechseln in der nächsten Zeit in den Ruhestand.
  • Steigende Schülerzahlen durch Geburtenzuwachs und Zuwanderung erfordern deutlich mehr Personal und Räume.
  • Politische Reformen wie der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz oder die Inklusion führen ebenfalls zu einem größeren Lehrkräftebedarf.

Politik und Hochschulen suchen Nachwuchs für die Lehramtsstudiengänge

Entsprechend aktiv sind mittlerweile Politik und Hochschulen bei der Suche nach neuen Studierenden. So hat etwa das Land NRW Mitte April eine neue Lehrerwerbekampagne gestartet, bei der der Nachwuchs für die Lehramtsstudiengänge gewonnen werden soll. Und auch die Universitäten selbst machen sich verstärkt Gedanken, wie sie Interessenten für die entsprechenden Studiengänge gewinnen können. In der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ sind etliche dieser Angebote versammelt.

Ein Beispiel: die Gießener Offensive Lehrerbildung (GOL). Sie verfolgt das Ziel, geeignete Interessenten zu informieren und im Idealfall auch für ein Lehramtsstudium zu gewinnen – indem die besonderen Herausforderungen des Lehrerdaseins herausgestellt und damit insbesondere auch leistungsfähige Schülerinnen und Schüler angesprochen werden. Self-Assessment-Angebote flankieren das GOL-Infoangebot. Auf realistische Selbsteinschätzung und ein umfassendes Angebot zur Eignungsberatung setzt auch die TU Darmstadt: Sie hat für angehende MINT-Lehrkräfte ein mehrstufiges Beratungssystem vor und während des Studiums entwickelt, das vom Online-Self-Assessment über eine professionsbezogene Eignungsberatung und Gespräche mit Kommilitonen bis hin zu Workshops reicht.

Klar ist aber auch: Das reicht nicht. „Der Vorlauf, den die Bildungsplanung braucht, ist erheblich, wenn man bedenkt, dass ein Lehrerstudium etwa sieben Jahre dauert – von der Einschreibung bis zum fertig ausgebildeten Lehrer“, sagt Bildungsforscher Dirk Zorn, „wir brauchen jetzt sehr kurzfristige Maßnahmen.“ Wie die aussehen könnten, wird derzeit diskutiert: Wie können Teilzeitkräfte motiviert werden, ihr Pensum aufzustocken? Mit welchen Anreizen lassen sich Ruheständler bewegen, weiter zu unterrichten? Sind Lehrkräfte weiterführender Schulen auch im Primarbereich einsetzbar?

Quer- und Seiteneinsteiger zunehmend gefragt

Doch selbst, wenn alle diese Ideen erfolgreich realisiert werden, ist die Fachkräftelücke immer noch nicht geschlossen: Quer- und Seiteneinsteiger werden deshalb in den kommenden Jahren zunehmend die Lehrerzimmer bevölkern. In berufsbildenden Schulen ist das längst Alltag, hier kann der Lehrkräftebedarf schon seit Jahren nicht einmal annähernd aus regulären Absolventen gedeckt werden. „Der Rückgriff auf Seiteneinsteiger ohne pädagogische Qualifikation ist in den meisten Ländern gängige Praxis“, heißt es im Monitor Lehrerbildung. Dies gelte insbesondere für gewerblich-technische Fächer wie Metall- oder Elektrotechnik. Zwei Drittel aller neu eingestellten Seiteneinsteiger an beruflichen Schulen entfielen im Jahr 2016 auf diese Fächergruppe. Dringend notwendig sei deshalb eine Erweiterung der Zugangswege zum Lehramt, bei der der qualitätsgesicherte Quereinstieg (mit pädagogischer Qualifikation und Referendariat) als gleichwertige Alternative neben dem grundständigen Lehramtsstudium institutionalisiert werde, sagt Frank Ziegele, Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung.

Zahlreiche Universitäten testen die Idee des qualitätsgesicherten Quereinstiegs bereits. So hat etwa die FU Berlin mit dem Projekt „K2teach“ einen Masterstudiengang für das Lehramt eingerichtet, der gezielt für den Vorbereitungsdienst in Mangelfächern ausbildet. Angesprochen sind insbesondere Studierende mit Abschlüssen in den MINT-Fächern, aber auch in Englisch oder romanischen Sprachen, deren Vorerfahrungen individuell berücksichtigt werden. Auch die TU München setzt mit „Teach@TUM“ auf neue Wege: Sie bietet für angehende Berufsschullehrer aus den Ingenieurwissenschaften einen Master an, der in sechs Semestern auch gleich noch das Referendariat integriert. „Im Gegensatz zu den herkömmlichen Studien sind unsere Studierenden ein Jahr kürzer unterwegs, bis sie in den Beruf hineinkommen“, nennt Kristina Reiss, Dekanin der TUM School of Education, einen der großen Vorteile dieses Kombi-Modells.

Dass am Ende ein bundesweit einheitliches Standard-Rezept für den erfolgreichen Quer- und Seiteneinstieg entsteht, erwartet niemand – zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen in den einzelnen Ländern und Schulformen. Aber dass es ohne neue Zugänge in den Lehrerberuf nicht geht, ist allen Beteiligten klar. Die Suche nach diesen neuen Wegen hat längst begonnen.

Armin Himmelrath ist Bildungs- und Wissenschaftsjournalist in Köln.