Lehrkräftegesundheit und Umgang mit Beanspruchungsfolgen im Praxissemester: Die Bedeutung von personen- und umgebungsbezogenen Ressourcen : Datum:
Die Pandemie bringt viele Lehrkräfte an den Rand ihrer Belastungsgrenze. Dazu kommt, dass die Gesundheitssituation im Schuldienst prekärer ist als in anderen akademischen Tätigkeitsfeldern. Studien belegen, dass Beschäftigte hier überproportional häufig unter Erschöpfungssymptomen, Unzufriedenheit mit der Berufswahl und Überforderungsgefühlen leiden. Befunde der Universität Potsdam zeigen auf, welche Bedeutung personen- und umgebungsbezogene Ressourcen haben, um diese Belastungen zu bewältigen.
Von Daniela Niesta Kayser
Der Lehrkräfteberuf gehört zu den Berufen, die in besonderem Maße mit psychischen Belastungen verbunden sind. Das unterstreichen die Zahlen über Dienstunfähigkeit und vorgezogenen Ruhestand, für die vorwiegend psychische beziehungsweise psychisch verursachte Beeinträchtigungen und Beschwerden verantwortlich gemacht werden. Es gibt dringende Appelle, für die psychische Gesundheit in diesem Beruf mehr zu tun, denn eine hohe Qualität des Lehrens und Lernens kann auf Dauer nur mit psychisch gesunden Lehrerinnen und Lehrern gewährleistet werden, das heißt mit Lehrkräften, die sich durch Zufriedenheit, Engagement und Widerstandsfähigkeit gegenüber den berufsspezifischen Belastungen auszeichnen. Die im Folgenden kurz vorgestellten Befunde von Kücholl und weiteren Mitarbeitenden aus dem Schwerpunktbereich "schulpraktische Studien" der Potsdamer Qualitätsoffensive belegen, welche Bedeutung personenbezogene und umgebungsbezogene Ressourcen haben, Belastungen beim Berufseinstieg zu bewältigen.
Schulpraktische Studien als Vermittlung von Ressourcen und Selbstwirksamkeitserwartungen
Praxisphasen stellen ein zentrales Element in der universitären Lehrkräfteausbildung in Deutschland dar und die Einbindung von Theorie-Praxis-Bezügen in die professionelle wissenschaftliche Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern erfährt national und international eine hohe Zustimmung. Das Praktikum im Master ist ein zentraler Bestandteil der Praxisstudien im Lehramtsstudium an der Universität Potsdam. Begleitet werden die angehenden Lehrkräfte während dieser 14-wöchigen Phase – in Kooperation mit den Fachseminaren der 2. Phase der Lehrkräfteausbildung in Brandenburg – von einem Ausbildungsteam der Universität Potsdam. Dies ist besonders wichtig im Hinblick darauf, dass eine gute schulische Lernbegleitung vor allem emotional und psychologisch unterstützend wirkt und daher eher zu einer höheren beruflichen Zufriedenheit und Motivation der Studierenden beiträgt. Seit der zweiten Förderphase der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" (2019-2023) werden an der Universität Potsdam neue Konzepte für die fachdidaktischen Begleitseminare zum Praxissemester entwickelt und implementiert. Zukünftige Forschung wird zeigen können, welche dieser Konzepte aus Studierendensicht förderlich sind und welche Rolle die Lernbegleitung hierfür spielt.
Beanspruchungsfolgen und Früherkennungsmöglichkeiten: Diagnosen und Prävention
An der Universität Potsdam wurde bereits vor mehr als 15 Jahren damit begonnen, umfangreichere Untersuchungen zur Belastung und psychischen Gesundheit im Lehrkräfteberuf zu messen. In mehreren Erhebungswellen wurden mehr als 20.000 Lehrerinnen und Lehrer und – zum Vergleich – etwa 8.000 Vertreterinnen und Vertreter anderer Berufe einbezogen. Der hier im Zentrum stehende diagnostische Ansatz trägt der aktiven Mitwirkung der Betroffenen bei der Gestaltung ihrer Beanspruchungsverhältnisse Rechnung und liegt auf der Erfassung von Symptomen von Belastung in Form von psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen.
Von größerem Interesse ist jedoch die Frage, mit welchem Verhalten und Erleben die Lehrerinnen und Lehrer den Anforderungen ihres Berufes begegnen und in welchem Maße darin zum einen Gesundheitsressourcen, zum anderen aber auch Gesundheitsrisiken zum Ausdruck kommen. Dieser Zugang, der sich am persönlichen Bewältigungsverhalten orientiert, soll einen effektiveren Beitrag zur Früherkennung möglicher Gefährdungen und damit zur Prävention liefern. Beanspruchungsfolgen im Lehrberuf können basierend auf vorliegenden empirischen Befunden zu emotionaler Erschöpfung, reduzierter Leistungsfähigkeit und zu Gesundheitsrisiken wie erhöhte Infarktgefährdung führen. Die Untersuchungsergebnisse aus der "Potsdamer Lehrerstudie" lassen auch die in diesem Beruf liegenden persönlichkeits- und gesundheitsförderlichen Ressourcen erkennen und sie zeigen Ansatzpunkte für deren bessere Nutzung auf. Dabei ist das Spektrum der erforderlichen Maßnahmen sehr breit. Zu den großen Aufgabenfeldern im Zusammenhang von Lehrkräftegesundheit und Resilienz lässt sich daher die Nutzung von Ressourcen zählen.
Lehrkräftegesundheit und Resilienz: Nutzung von personen- und umgebungsbezogenen Ressourcen
Die Ergebnisse einer Studie im Potsdamer Praxissemester (im Folgenden als PS abgekürzt) von Denise Kücholl zu Lehrkräftegesundheit zeigt, dass sowohl personen- als auch umgebungsbezogene Ressourcen von hoher Bedeutung sind, um Belastungen beim Berufseinstieg zu bewältigen. Zwei zentrale Ergebnisse der Studie sind, dass die hohen Selbstwirksamkeitserwartungen (SKE) zu Beginn des Praxissemesters mit geringerer emotionaler Erschöpfung sowie mit höherer Leistungsfähigkeit zum Ende des Praxissemesters einhergehen. Dabei wird der Zusammenhang zwischen den SKE und der Leistungsfähigkeit durch die von den Lehramtsstudierenden wahrgenommene soziale Unterstützung durch Mentoring moderiert.
Zu den personenbezogenen Ressourcen zählen Selbstwirksamkeitserwartungen, selbstwertförderliche Attributionen und positive Emotionen. Objektive Anforderungen werden von Personen mit hohen SKE häufiger als Herausforderung angesehen und durch ein hohes Level an positiven SKE kann physiologische Erregung und körperliche Unruhe reduziert werden. Entsprechend werden negative Beanspruchungsfolgen, die sich aufgrund von Belastungen ergeben, abgemildert. Weiterhin setzen sich Lehrkräfte mit hohen SKE anspruchsvollere Ziele und zeigen aufgrund ihres größeren Durchhaltevermögens gerade bei Widrigkeiten mehr Leistungsbereitschaft. Studien zu beruflicher Beanspruchung bei angehenden Lehrkräften verweisen darauf, dass Studierende, die über umfangreiche schulpraktische Erfahrungen verfügen, weniger negative Beanspruchungsfolgen in frühen Praxisphasen erleben. Ein hohes Maß an pädagogischen Vorerfahrungen scheint folglich den Übergang vom Lehramtsstudium in die Schulpraxis zu erleichtern.
Ein wesentlicher umgebungsbezogener Faktor zum Schutz vor Burnout ist die soziale Unterstützung durch Mentorinnen und Mentoren. Soziale Unterstützung wird verstanden als tatsächlich erhaltene oder erwartete Hilfe durch Unterstützende im Falle eines Problemzustandes. Formen und Arten der Unterstützung können beispielsweise die Unterstützung auf emotionaler Ebene, die instrumentelle oder informationelle Unterstützung sein. Soziale Unterstützung kann eine direkte Wirkung auf das Erleben von negativen Beanspruchungsfolgen haben. Demnach erleben Lehrkräfte, die sich sozial unterstützt fühlen, Belastungen als weniger negativ beanspruchend beziehungsweise das Erleben von negativen Beanspruchungsfolgen bei Praxissemesterstudierenden reduziert sich. In der daran anschließenden Phase des Referendariats fand Richter heraus, dass hohe informationelle Unterstützung, zum Beispiel das Erteilen von Ratschlägen und die Übermittlung von Informationen sowie emotionale Unterstützung, das heißt das Entgegenbringen von Wertschätzung und positiver Zuneigung, bei Referendarinnen und Referendaren mit geringerer emotionaler Erschöpfung einhergehen. Direkte Effekte sozialer Unterstützung können somit zur Stressreduktion führen und zwar indem Anforderungen per se als eher zu bewältigen wahrgenommen werden (siehe auch Modell der Stresstransaktion von Lazarus und Launier, 1981).
Bereits Lehramtsstudierende im Potsdamer Praxissemester profitieren von ihren Selbstwirksamkeitserwartungen in dem Sinne, dass sie zu einer realistischen Beurteilung ihrer persönlichen Leistung gelangen und Erfolge selbstwertförderlich attribuieren können. Hohe Selbstwirksamkeitserwartungen befähigen dazu, anspruchsvolle Aufgaben im Rahmen des PS auf kognitiver Ebene nicht so sehr als belastend einzuschätzen, sondern diese eher als Herausforderung zu betrachten. Lehramtsstudierende schätzen am Ende des PS ihre Leistungsfähigkeit als ausgeprägter ein, sie empfinden auch weniger Stress, wenn sie sich zu Beginn des PS als selbstwirksam wahrnehmen, wodurch wiederum die emotionale Erschöpfung reduziert wird.
Vorschläge für Interventionen und Veränderungen
Erkenntnisse aus den geschilderten Studien zu Beanspruchungsfolgen im Lehrberuf legen nahe, dass Rahmenbedingungen in der universitären Lehrkräftebildung früh adressiert werden müssen, um Überforderung und einem Burnout entgegenzuwirken. Für einen erheblichen Teil der Lehrerinnen und Lehrer liegen zwar Gesundheitsrisiken vor, unsere Untersuchungsergebnisse im Potsdamer PS lassen jedoch die in diesem Beruf liegenden persönlichkeits- und gesundheitsförderlichen Potenzen erkennen und zeigen Ansatzpunkte für deren bessere Nutzung auf. Insbesondere den Selbstwirksamkeitserwartungen und der sozialen Unterstützung durch Mentoring kommt bei der Förderung positiver Beanspruchungsfolgen in ersten Praxisphasen eine hohe Bedeutung zu. Implikationen für die Praxis ergeben sich dahingehend, SKE bereits während des Lehramtsstudiums gezielt zu fördern wie ein Training von Çelibi und Kolleg_innen (2014) eindrucksvoll zeigen konnte. In ihrem Programm "Gestärkt für den Lehrerberuf" an der Universität Potsdam wurden Studierende angeleitet, nicht nur an ihren Schwächen, sondern auch an ihren Stärken zu arbeiten. Dabei wurden die Studierenden mit Hilfe strukturierter Übungen gezielt darin unterstützt, ein persönliches Kompetenzprofil zu erstellen, individuelle Ziele zu formulieren sowie Handlungspläne zur Zielerreichung zu entwickeln. Die Aspekte, die in diesem Programm als förderlich für die Stärkung von SKE identifiziert wurden, könnten auch Mentorinnen und Mentoren an den Praxissemesterschulen mitgegeben werden, um die Qualität der Unterstützung durch Mentoring weiter zu erhöhen. Entsprechend sollten die Mentorinnen und Mentoren an den Schulen noch gezielter auf ihre Betreuungsaufgabe vorbereitet und qualifiziert werden.
Dr. habil. Daniela Niesta Kayser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Bildungswissenschaften an der Universität Potsdam. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Professionalisierung von Lehrkräften in den Praxisphasen, Bedrohungsprozesse und kulturelle Identität von Lehrkräften, Resilienz, Flucht und Migration, Kooperation und Transfer von Wissenschaft und Praxis.