Kommt mit! Beispiele für Demokratiepädagogik in der Digitalität : Datum:
Prof. Dr. Rebekka Bendig und Julian Knop von der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik zeigen Wege auf, wie eine demokratiepädagogische Schulentwicklung in Pandemiezeiten umgesetzt werden kann. Dabei kommen Sie auch zu der Erkenntnis: Schule muss nicht alles allein machen.
Von Rebekka Bendig und Julian Knop
Welche Rolle spielt die Demokratiepädagogik in der digitalen Welt? Ausgehend von dem Himmelmannschen Demokratiebegriff, der Demokratie als Herrschafts-, Gesellschafts- und Lebensform beschreibt, sind alle drei Ebenen relevant: Es geht um das Persönliche ebenso wie das Miteinander in einer pädagogischen Einrichtung und den politischen Raum.
Gute Lernangebote trotz geschlossener Klassenzimmer
Kommen Sie einmal mit in unsere Beispielschule: Kerem besucht die achte Klasse der Audre-Lorde-Schule in Berlin. Für den Präsenzunterricht ist die Klasse weiterhin geschlossen – aber sie schafft es, Kindern- und Jugendlichen ein gutes Lernangebot zu gestalten. Wie schafft sie das?
Einmal in der Woche versammelt sich die Klasse digital zum Klassenrat. Dafür erprobt sie zurzeit unterschiedliche Methoden, um den besten Weg für sich herauszufinden. Letzte Woche haben sie den Klassenrat per Textnachrichten in einem Etherpad ausprobiert, heute sollen Sprachnachrichten versendet werden, nächste Woche schauen sie, ob ihre Videoplattform einen Klassenrat stabil hosten kann, oder die Gruppe eventuell geteilt werden muss. Im Anschluss wird ausgewertet. Themen im Klassenrat sind zurzeit vor allem Leistungsdruck und Schulstress auf Grund der Schließungen sowie Diskussionen über gesellschaftliche Freiheiten in Pandemiezeiten. Über das Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro in ihrem Stadtteil beteiligen sie sich am Jugendforum und erreichen in einem Gespräch mit Stadträtin und Bürgermeister konkrete Verbesserungen.
Sharing is caring – Lehrkräfte haben einen eigenen Austauschraum
Die Lehrkräfte in der Schule haben einen eigenen Austauschraum: sie stellen sich vorbereitete Unterrichtsmaterialien gegenseitig zur Verfügung. In einer wöchentlichen kollegialen Beratung sprechen sie Herausforderungen an. Sharing is caring. Die Arbeitsmaterialien sind mit klaren, verständlichen, strukturierten Aufgaben in verschiedenen Schwierigkeitsstufen versehen. Unterstützend zu Schulbüchern wird auch auf Videos, Podcasts und freie Lernangebote hingewiesen.
Jede Lehrkraft hat einmal in der Woche ein kurzes Telefonat mit einem Schüler. Hier wird über Lernziele und Lernstände, aber auch das eigene Wohlbefinden gesprochen. Auffälligkeiten werden mit anderen Lehrkräften besprochen.
Lernen außer Haus, Buddy-Verbände, Arbeitsgemeinschaften und freiwillige Angebote
Regelmäßig müssen Kinder- und Jugendliche für das Erledigen der eigenen Aufgaben das Haus verlassen: Flächenmessung im Park in Mathe, Erstellung von Videoclips zum Sportunterricht, Beschreibung eines öffentlichen Ortes im Fach Deutsch.
Die Klasse hat mit Unterstützung feste Buddy-Verbände fächerübergreifend geschlossen. In gleichbleibenden Gruppen zu dritt sind sie gemeinsam füreinander da.
Langsam starten auch wieder Arbeitsgemeinschaften, freiwillige Angebote, an der Schule. Die Schulzeitung trifft sich im Sprachchat und mit einem PAD, die Technik-AG probiert das gemeinsame Programmieren an Computerspielen und die Schulgarten-AG hat zu einer Pflanzensuch-Rallye aufgerufen.
Termine mit Lehrkräften werden genutzt, um Wissen aufzubereiten, zu vertiefen und Fragen zu beantworten. Input wird durch aufgezeichnete Vorträge, Videos und Texte zur Verfügung gestellt – Stichwort: Flipped Classroom.
Die Schule vergibt deutlich weniger Hausaufgaben als vorher – denn allen ist bewusst, dass das Stresslevel erhöht ist. Dafür werden freiwillige Lernhinweise gegeben.
Die Beteiligungsgremien thematisieren in ihren Onlinesitzungen derweil den längerfristigen Ausblick. Sie äußern Sorgen, dass auf die Zeit des fehlenden Präsenzunterrichts nun mit zusätzlichen Nachhilfepaketen reagiert werden soll. Gemeinsam überlegen sie, wie ohne diese Mehrbelastung und unter Anerkennung der unterschiedlichen Hintergründe für junge Menschen weiterhin gute Startvoraussetzungen durch Bildung gegeben sein können.
Netzwerke sind nicht nur in Zeiten der Pandemie das A und O
Bildungsinstitutionen der schulischen und außerschulischen Demokratiebildung haben sich im "Bündnis Bildung für eine demokratische Gesellschaft" auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik zusammengeschlossen und tauschen sich seit Beginn der Pandemie über unterschiedliche Wege und Möglichkeiten der Praxis aus. Dabei bereichern sich schulische und außerschulische Akteure gegenseitig. "Ich habe heute viele Anregungen mitgenommen und gehe wieder ganz motiviert in meinen Alltag". Das ist die vielleicht wichtigste Erfahrung: (Nicht nur) in Zeiten der Pandemie sind Netzwerke der gegenseitigen Unterstützung das A und O. Und wenn sie über den eigenen Organisationstellerrand hinaus reichen, können sie neue Welten eröffnen und wieder Mut machen.
Die zweite Erkenntnis: Schule muss nicht alles allein machen. Da sind jede Menge mögliche Kooperationspartnerinnen und -partner – und sie sind online häufig viel unkomplizierter in den Klassenraum zuzuschalten als mit langem Anfahrtsweg. Das ist gerade für den ländlichen Raum interessant. Junge Menschen vom Bildungswerk für Schülervertretung und Schülerbeteiligung (SV-Bildungswerk) oder Mehr als Lernen e.V. regen Schülervertretungen und Soziales Lernen an, partizipatives demokratisches Miteinander kann auch online gemeinsam eingeübt werden. Das Konflikthaus bietet Unterstützung beim Online-Klassenrat an, das Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationszentrum (EPiZ) stellt Materialien, Filme und Workshops zum Thema Globales Lernen zur Verfügung. "Gesicht Zeigen!" unterstützt beim Umgang mit Hatespeech, rechter Hetze und einem freudvollen Entwickeln von Zivilcourage, ebenso wie KIgA, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, der Verein für Demokratie und Vielfalt in schulischer und beruflicher Bildung e.V. und viele weitere, die sich in wenigen Sätzen auf der Bündniswebsite vorstellen. Kinder- und Jugendbeteiligungsbüros, Kinder- und Jugendparlamente oder Kinderbeauftragte vor Ort vermitteln zwischen kommunaler Politik und Planung.
Weitere Ideen, Eindrücke und Gedanken für eine demokratiepädagogische Schulentwicklung in Pandemiezeiten finden Sie in dem vollständigen Artikel, der in der rechten Spalte verlinkt ist. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren und freuen uns über Rückmeldungen zu innovativen Praxisbeispielen.
Prof. Dr. Rebekka Bendig ist Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Pädagogik Berlin und Mitglied des Landesvorstandes Berlin-Brandenburg der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik, DeGeDe e.V.. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche sich dann motiviert einbringen, wenn es um Themen geht, die sie wirklich interessieren. Das müssen aber nicht immer die Belange der Erwachsenen sein.
Julian Knop ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik und berät mit seinem Kollektiv stuhlkreis_revolte zum Thema digitale Lerngestaltung, Beteiligungs- und Vielfaltspädagogik.