Ist die Philosophie ihre eigene Didaktik? Wie das Philosophieverständnis dazu beitragen kann, die Verbindung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik zu stärken. : Datum:
Eine Unterscheidung in Fachwissenschaft und Fachdidaktik zu machen ist in der Philosophie keinesfalls selbstverständlich. Bevor also darüber nachgedacht wird, wie Brücken zwischen den beiden Bereichen gebaut werden können, ist es zunächst wichtig, das Fachverständnis exemplarisch zu erläutern. Im Anschluss daran erläutert Dr. Kinga Golus, inwiefern dieses Verständnis die Basis für eine Zusammenarbeit bilden kann.
Ein Kommentar von Kinga Golus
Das übergeordnete Ziel von Philosophielehrenden an der Universität Bielefeld besteht darin, ihre Studierenden am Ende des Studiums dazu zu befähigen, philosophieren zu können. Dementsprechend geht es in erster Linie darum, eine Fähigkeit zu erlernen. Philosophieren zu können bedeutet in einem weiten Sinne, selbstständig dazu in der Lage zu sein, sowohl die Theorien anderer nachvollziehen zu können, als auch diese eigenständig zu kommentieren und weiterzuentwickeln. Es bedeutet, über systematische Fragen selbstständig nachzudenken. Das muss zuerst erlernt werden, um es später beibringen zu können. Die hierbei geschulte Selbstständigkeit im Denken ist als Lernprozess zu verstehen, der im Studium angeleitet wird und sich bei den Studierenden schriftlich wie mündlich in einem professionellen selbstständigen Denken manifestieren soll. Diese Fähigkeit ist das zentrale Ausbildungsziel für alle Studierenden der Philosophie – unabhängig davon, ob diese Lehrkräfte an Schulen werden oder sich für einen anderen Beruf entscheiden.
Die Philosophie ist ihre eigene Didaktik
Deutet man also das Studium der Philosophie als den Erwerb einer Fähigkeit, so ist der hier zugrunde liegende Bildungsbegriff ein formaler. Es geht im Studium weniger um ein materielles Bildungsverständnis. Dies äußert sich insbesondere durch eine philosophiehistorische Deutung von Philosophie und die damit verbundene Reproduktion und Rekonstruktion dessen, was andere Denkerinnen und Denker zu einer bestimmten Fragestellung geschrieben und veröffentlicht haben. Philosophiehistorische Positionen bilden zweifelsohne einen wichtigen Teil der materiellen Bildung des Studiums, doch dienen diese Theorien anderer stets dazu, die Fähigkeit zum selbstständigen Philosophieren üben und verbessern zu können. Dieser Auffassung folgend werden somit weder im Philosophiestudium noch im Philosophieunterricht Theorien vermittelt. Es geht vielmehr darum, anhand des Denkens anderer die Praxis des Philosophierens zu erlernen.
Ist die Philosophiedidaktik eine Hilfswissenschaft oder eine eigenständige Disziplin?
Folgt man der Auffassung, dass die Fachphilosophie bereits ihre eigene Didaktik sei, so stellt sich die berechtigte Frage, ob die Philosophiedidaktik als eigenständiger Arbeitsbereich gedeutet werden kann. Zwar müssten beim Lehren und Lernen des Philosophierens altersbedingte Anpassungen an den Schulen erfolgen, doch eine eigenständige Existenz der Philosophiedidaktik als philosophischer Disziplin würde ihr abgesprochen. Sie wäre vielmehr eine Hilfswissenschaft, deren Methoden fachwissenschaftlich abzuleiten sind (wie beispielsweise das Sokratische Gespräch oder das Gedankenexperimentieren), kombiniert mit pädagogischen und entwicklungspsychologischen Elementen.
Doch es spricht auch vieles dafür, in der Philosophiedidaktik mehr als eine Hilfswissenschaft zu sehen und ihr einen eigenen Stellenwert zuzuschreiben. Sie erforscht und schafft nämlich Bedingungen für gelingendes Philosophieren an Schulen, wofür philosophische Theorien die fachwissenschaftliche Basis bilden. Dabei wird ihr der Stellenwert einer eigenen philosophischen Disziplin zugeschrieben, wie beispielsweise der Erkenntnistheorie oder der Moralphilosophie. Es ist zwar eine notwendige Bedingung, eine gute Philosophin beziehungsweise ein guter Philosoph zu sein, um später eine gute Philosophielehrkraft zu werden. Es ist in Hinblick auf den Professionalisierungsprozess allerdings keine hinreichende Bedingung, denn philosophieren zu können bedeutet nicht automatisch, es auch lehren zu können.
Schlussbetrachtung
Exemplarisch am Beispiel des Faches Philosophie konnte gezeigt werden, dass das vielfach herangezogene Modell des ‚Brückenbauens‘ zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik nicht immer anwendbar ist. Wenn Kernelemente des Faches die eigene Didaktik darstellen, bedarf es eines anderen Denkmodells. Es wäre beispielsweise sinnvoll, mit fachwissenschaftlich Lehrenden sichtbar zu machen, welche Elemente ihres Philosophierens fachdidaktisch sind. Es bedarf eines Bewusstwerdens bzw. Sichtbarmachens dieser, damit die Philosophiedidaktik als elementarer Teil des Faches gewertet werden kann. So kann eine Zusammenarbeit zwischen den institutionell getrennten Bereichen gelingen, denn es entstünde ein Bewusstsein dafür, dass das Philosophieren ein genuin didaktischer Vorgang ist.
Inwiefern die Philosophie als sogenanntes kleines Fach dazu beitragen kann, anderen Disziplinen die jeweilige Fachdidaktik näher zu bringen, ist fraglich. Es ist durchaus möglich, dass das hier beschriebene Fachverständnis einen Sonderfall darstellt, der auf andere Fächer nicht übertragbar ist. Doch lohnt es sich in Anlehnung an das hier vorgestellte Beispiel für andere Disziplinen zu prüfen, ob eine strenge Trennung in Fachwissenschaft und Fachdidaktik tatsächlich notwendig ist.
Dr. Kinga Golus ist Philosophiedidaktikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Biprofessional" an der Universität Bielefeld. Sie arbeitet in der Teilmaßnahme 6 "Wie phasenübergreifendes Forschendes Lernen eine fachdidaktische Deprofessionalisierung im Unterrichtsfach Philosophie verhindert", die von Prof. Dr. Ralf Stoecker (Philosophie) und Prof. Dr. Martin Heinrich (Erziehungswissenschaft) geleitet wird.